Mehr als 70 Jahre nach Festschreibung der Gleichberechtigung von Mann und Frau im Grundgesetz werden Frauen in Deutschland und auch in Hessen immer noch wegen ihres Geschlechts diskriminiert. Die hessische SPD-Fraktion will das ändern.
SPD-Landtagsfraktion – Christina Schäfer

In der ersten Legislaturperiode, die 1946 begann, hatte der Hessische Landtag 90 Sitze. Acht davon waren von Frauen besetzt. Eine Quote von knapp 9%. Eine dieser Abgeordneten war Elisabeth Selbert aus Kassel. Gemeinsam mit ihren Mitstreiterinnen ist es ihr gelungen, den Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ im Grundgesetz aufnehmen zu lassen. Das geschah im Jahr 1949. Heute, 74 Jahre später, hat das hessische Parlament 137 Sitze, 51 davon sind von Frauen besetzt sind. Eine Quote von 37%. Schon besser – aber immer noch nicht genug.
Frauen machen die Hälfte der hessischen Bevölkerung aus. Deshalb war es nicht schwer, Expertinnen für dieses Magazin zu finden. In den Gesprächen und Interviews, die wir mit Frauen geführt haben, kristallisierte sich immer wieder ein Fazit in Sachen Gleichberechtigung heraus – heute ist vieles besser als damals, aber eben noch lange nicht gut. Konkrete Daten, wie die Gender Gaps, die Zahlen der Frauen in Führungspositionen oder die Zahlen der verübten Gewaltverbrechen an Frauen, belegen die Ungleichheit.
Doch es gibt noch etwas darüber hinaus. Etwas, das weniger gut abzubilden ist, aber alle Frauen kennen. Die hessische Strafverteidigerin Carolin Weyand hat es das „Grundrauschen“ an Alltagsdiskriminierung von Frauen genannt. Dazu gehört zu Beispiel die frühe Sexualisierung von Frauen. Das Hinterherpfeifen auf der Straße ist vermutlich noch eine der harmlosen Ausdrucksformen davon. „Catcalling“ nennt man das heute. Wir haben diesem Thema und einer Gruppe aus Wiesbaden, die diese Diskriminierung im Wortsinn „ankreidet“, eine Doppelseite in unserem Heft gewidmet.
Und dann sind da die Fragen, die jede Frau kennt, aber kein Mann. Auch sie gehören zu dem Grundrauschen. Die Unternehmerin Fränzi Kühne hat diesen Fragen ein ganzes Buch gewidmet. Auch unsere Frauen in der Fraktion kennen sie: Was ziehen Sie zur nächsten Sitzung an? Wie wollen Sie denn Politik, Kinder und Haushalt unter einen Hut bekommen? Sie arbeiten Vollzeit? Und wer kocht Ihrem Mann das Essen? Ach, Sie sind Abgeordnete? Ist ja toll, und wer passt auf Ihre Kinder auf? Hast du eine Putzhilfe im Haushalt? Verdienst du dann mehr als dein Mann? Oder aus dem privaten Alltag unserer Politikerinnen: Ist Ihr Mann da? Ich möchte ihm zeigen, wie man die Fenstergriffe ölt. Sie können ja richtig gut Auto fahren. Soll ich das Auto für dich einparken? Ist etwas eng hier. Können Sie sich die Wohnung als Alleinstehende überhaupt leisten?

Diese Fragen lassen uns schmunzeln, weil auch wir sie kennen. Die Realität dahinter ist jedoch nicht lustig. Sie machen deutlich, dass die Gleichberechtigung, die bereits seit 74 Jahren im Grundgesetz verankert ist, in den Köpfen der Menschen immer noch nicht vollumfänglich angekommen ist. Alle Frauen in Deutschland machen im Laufe ihres Lebens Erfahrungen mit Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts. Das muss aufhören.
Die Politik kann helfen. Durch gezieltes Abbauen von struktureller Benachteiligung von Frauen, zum Beispiel durch Unterstützung von Frauen an den entscheidenden Stellen, etwa um Armut zu verhindern oder Care-Arbeit besser zu verteilen und höher zu bewerten. Aber die Politik könnte auch als gutes Beispiel vorangehen, indem in Zukunft die Hälfte der Sitze in Parlamenten von Frauen besetzt oder Führungspositionen in Ministerien zu gleichen Teilen von Männern und Frauen besetzt werden. Die Regierung in Hessen unter CDU und Grünen hat in den vergangenen 20 Jahren wenig für das Vorankommen in der Gleichberechtigung unternommen. Doch im Oktober 2023 wählt Hessen eine neue Landesregierung. Die SPD Hessen und vor allem die 16 starken Frauen der SPD-Landtagsfraktion wollen strukturelle Benachteiligung von Frauen beenden und das Grundrauschen der Alltagsdiskriminierung endgültig abstellen.
Die SPD schickt mit Nancy Faeser die einzige Frau ins Rennen um die Staatskanzlei. Nancy Faeser will erste Ministerpräsidentin in Hessen werden.
