Generationswechsel

Bild: Privat

Danke

In den vergangenen 70 Jahren haben Frauen in Deutschland mit viel Erfolg für ihre Rechte gekämpft, für mehr Selbstbestimmung, Unabhängigkeit, für mehr Chancen. Diese Frauen sind unsere Großmütter und Mütter. Und ob sie nun auf Demonstrationen Schilder in die Höhe reckten, in Parlamenten die Hände heben oder für uns Kinder daheim geblieben sind – wir haben ihnen viel von der Freiheit und den Möglichkeiten, die wir heute haben, zu verdanken. Deshalb widmen wir diese Seiten allen Müttern.

SPD-Landtagsfraktion – Susanne Selbert, Elke Barth und Regine Müller

 

Susanne Selbert – über ihre Großmutter Elisabeth Selbert

Als meine Großmutter 1986 mit fast 90 Jahren verstarb, war ich 26 Jahre alt. Ich habe also eine gute Erinnerung an sie, zumal es in unserer Familie üblich war, jeden Sonntagnachmittag die Großmutter zu Kaffee und Kuchen zu besuchen. Das klingt so beschaulich und nach gepflegter Konversation. Aber diese Familientreffen, zu denen auch oftmals noch gute Freunde im Hause meiner Großmutter eintrafen, waren stets geprägt durch ausgiebige und mitunter hitzige Diskussionen über die aktuelle politische Lage. Im Rahmen dieser Gespräche offenbarte sich eine der Charakterstärken meiner Großmutter: Sie war ausgesprochen tolerant. Trotz ihrer Ernsthaftigkeit und ihrer Geradlinigkeit in beruflichen und politischen Belangen war sie stets aufgeschlossen gegenüber den Argumenten der „rebellischen“ Enkelkinder und hat uns immer als ernst zu nehmende Gesprächspartner* innen mit Respekt behandelt. In der Rückschau betrachtet muss ihr das sicherlich ab und an schwergefallen sein. Wenn ich an sie zurückdenke, dann finde ich es immer noch bewundernswert, mit welchem Mut, mit was für einer Hartnäckigkeit und mit welchem taktischen Geschick sie es geschafft hat, den Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ im Grundgesetz zu implementieren. Damit hat sie die Basis geschaffen, dass engagierte Frauen und Männer in den Jahrzehnten danach die Gleichberechtigung auf allen Rechtsgebieten durchsetzen konnten.

„Auf eigenen Füßen stehen“

Aber für uns Enkelkinder war vor allem von großer Bedeutung, dass sie die Gleichberechtigung nicht nur im Grundgesetz verankert, sondern auch in der eigenen Familie gelebt hat. So war ihr beispielsweise ausgesprochen wichtig, dass alle fünf Enkeltöchter, genauso wir ihr Enkelsohn, mittels einer guten Ausbildung „auf eigenen Füßen stehen sollten“. Auf das Gehalt eines Ehepartners angewiesen zu sein, das war keine Option für sie. Diesem Ansinnen konnten wir alle, nicht zuletzt auch dank ihrer Unterstützung, gerecht werden. Ich bin mir sicher, dass sie uns Enkelkindern noch viel mehr mit auf den Weg gegeben hat. Dazu gehört der Einsatz für demokratische Grundwerte, das Engagement für soziale Gerechtigkeit sowie eine gehörige Portion Toleranz, Mut und Hartnäckigkeit. Noch im hohen Alter adressierte sie an uns Frauen, „sich stärker politisch zu organisieren und zu engagieren, um die Gleichberechtigung in steigendem und in erforderlichem Maße durchzusetzen. Wir können dies nicht von den Männern erwarten – das ist Frauensache.

Elke Barth über ihre Mutter

Als meine Mutter 1975 in die SPD eintrat, war unsere Familie kurz zuvor in ein Reihenhaus im Vordertaunus gezogen und ich gerade zehn Jahre alt. Angesprochen wurde sie vom damaligen SPD-Ortsvorsteher, als sie sich nach einem Spielplatz für ihre beiden Kinder im Neubaugebiet erkundigte. So kam sie dann nach einiger Zeit zur ASF. Das waren die „bösen Frauen“, die in die politischen Gremien drängten und auch sonst recht aufmüpfig gegenüber den Männern waren.

„Lern erst mal ordentlich Ribbelkuchen backen!“

Ich erinnere mich noch an den Ausspruch eines Genossen und Schulleiters, „meine Mutter solle doch erst mal ordentlich Ribbelkuchen backen lernen“, bevor sie für das Stadtparlament kandidiere. Meine Mutter stand auf Platz 1 der ASF-Liste und kandidierte für das Stadtparlament. Aber im SPD-Ortsverein gab es auch einige Widerstände gegen ihre Kandidatur. Lieber wollte man eine andere, „bravere“ Frau an ihrer Stelle sehen. Die ASF-Frauen haben sich aber für sie eingesetzt, mit Erfolg. Ohne dieses Frauennetzwerk hätte es nicht funktioniert. Fortan waren dann auch immer mehr Frauenthemen in der Kommunalpolitik aktuell. Es war diese Gruppe taffer Frauen, zu denen meine Mutter gehörte, die ich als Mädchen richtig klasse fand und die mich motiviert haben. Einigen von ihnen durfte ich in den letzten Jahren als SPD-Ortsvereinsvorsitzende die Urkunden für langjährige Parteimitgliedschaften übergeben. Sie haben Frauen wie mir den Weg geebnet. Die Emanzipation ist nicht vom Himmel gefallen, meine Mutter und ihre Mitstreiterinnen haben sie für uns erkämpft.“

Regine Müllerüber ihre Mutter

Meine Mutter wurde 1936 geboren. Sie besuchte ein Gymnasium, verließ es aber nach der „Mittleren Reife“ und begann eine Ausbildung im Büro ihres Vaters, der Rechtsanwalt war. In der Zeit machte sie auch einen Führerschein, was für junge Frauen damals eher unüblich war. Meine Eltern lernten sich kennen, als sie 16 waren, und heirateten 1958, da waren beide 22 Jahre alt. Berufstätig war meine Mutter nach der Hochzeit nicht mehr. Mein Vater war Berufssoldat, Pilot bei der Luftwaffe. Sie lebten zusammen auf dem ersten Stützpunkt, auf dem mein Vater eingesetzt war. 1959 kam ich zur Welt, meine Geschwister folgten 1961, 1964 und 1968. Alle zwei, drei Jahre wurde mein Vater versetzt, von einem Bundesland ins andere. Selbstverständlich zog die Familie mit, immer in fremde Umgebung, fremde Schulen, fremde Wohnungen. Infrage gestellt hat das damals niemand. Zwischendurch war mein Vater beruflich teils monatelang im Ausland, öfter tagelang bei Manövern.

Die Frauen, auch meine Mutter, blieben zu Hause bei ihren Kindern; und es gab viele Kinder in den 1960ern, es begann die Zeit der Boomer-Generation! Die Männer „zogen in die Welt“, die Frauen und Kinder saßen auf den zumeist abgelegenen Stützpunkten ziemlich fest. Hilfen von außen gab es kaum. Verwandtschaft, die im täglichen Leben hätte helfen können, war weit weg, Kinderbetreuung gab es bestenfalls vormittags, wenn überhaupt. Einkaufen, Arztbesuche, einfach mal in die Stadt, zum Friseur, alles war schwierig; selbstverständlich hatten die Männer die Autos mit, und wer hätte auf die Kinder aufgepasst? Daran, dass mein Vater oder andere Väter sich ernsthaft an der Familienarbeit beteiligt hätten, kann ich mich nicht erinnern. Böser Wille war das kaum – in den 50ern und 60ern war es einfach so. Meine Mutter hat sich erst viel später, in den 70ern, ihren Weg freigemacht. Da wurde ein zweites Auto angeschafft, und sie begann, in kleinen Museen mitzuarbeiten, sich für Gemäldegalerien zu interessieren. So schuf sie sich kleine Freiräume für ganz eigene Interessen. An eine Berufstätigkeit dachte sie nicht – wenn man die kurze Zeit der Lehre in sehr jungen Jahren überhaupt als Berufstätigkeit bezeichnen konnte, was meine Mutter aus ihrer Weltsicht nicht tat. Für ihre Töchter und Enkelinnen freilich sieht die Welt anders aus; was nicht heißen soll, dass wir echte und vollständige Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen bereits erreicht hätten. Also, Frauen: Weiter gehts!