Wer in Hessen schon einmal auf einem Jahrmarkt unterwegs war, hat vermutlich bereits Bekanntschaft mit ihnen gemacht: Thomas und Peter Roie sind Teil einer der ältesten Schaustellerfamilien des Landes. Zwischen Autoscooter und Zuckerwatte stellt sich die Frage: Wer sind die Menschen, die so hart arbeiten, während andere feiern? Ein Tag mit den Brüdern auf der Frankfurter Dippemess.
von Luca Simonis
Während über seinem Kopf Jugendliche und Familien schreiend dieFahrt mit dem „Disco-Express“ genießen, sieht Peter Roie im halb dunklen Maschinenraum unterhalb seines Fahrgeschäfts nach dem Rechten. Ein Schausteller gewährleistet die Sicherheit seiner Fahrgäste – das war schon von Beginn an eine Aufgabe seiner Zunft, wie Roie mit leichtem Stolz in der Stimme verkündet: „Wussten Sie, dass die Schausteller maßgeblich an der Entwicklung des TÜV beteiligt waren?“ Seine eigenen zwei Fahrgeschäfte kennt er in- und auswendig, schließlich sind sie bereits seit Ende der 1970er-Jahre im Betrieb der Familie. „Klack! Jetzt schließen gleich die Bremsen.“
90 Prozent der Familienmitglieder sind im Beruf geblieben. Auch Peter Roies Tochter Lena hat es nach einer Ausbildung im Hotelgewerbe zurück in den Wohnwagen des fahrenden Volkes verschlagen. Ebenso waren Emily und Mike, Thomas Roies Kinder, dieses Jahr auf der Dippemess mit ihren eigenen Ständen vertreten. Seine Frau Bettina unterstützt ihn an dem gemeinsamen Fahrgeschäft, dem Kettenkarussell „Wellenflug“, und hinter den Kulissen. Auch sie stammt aus einer Schaustellerfamilie. „Das erleichtert natürlich das Verständnis für den Job. Schließlich arbeiten wir, wenn andere feiern“, meint Thomas Roie.
Der Beruf als Schausteller ist kein einfacher. Ein üblicher Tag von Thomas und Peter beginnt um 10 Uhr. Es müssen Vorkehrungen getroffen, Maschinen überprüft, Ersatzteile gekauft werden. Um diese Uhrzeit erledigt Thomas auch den Großteil der Arbeit als Vorsitzender des Schaustellerverbands Frankfurt Rhein/Main. In dieser Position ist er laut eigener Aussage für rund 120 Familien verantwortlich, die „Familie Schausteller“, wie er sie liebevoll nennt. Wenn dann ab 14 Uhr die Dippemess ihre Pforten öffnet, heißt es Ansagen machen und Maschinerie steuern – Thomas hinter dem Kettenkarussell, Peter hinter dem Disco-Express oder seinem zweiten Fahrgeschäft, dem „Taumler“. Eine anstrengende Arbeit: Konzentriert bedient Peter die Konsole, bestimmt die Geschwindigkeit seines Fahrgeschäfts, die Musik und das Licht. Je später es wird, desto mehr übermütige Jugendliche strömen auf den Festplatz. Da der Taumler keine festen Sitze hat, lassen sich einige der jungen Fahrgäste gerne in die Mitte der sich im Kreis drehenden Berg- und Talbahn fallen. Ein Sicherheitsrisiko. Peter Roie muss sie dann auffordern, sich zu setzen, in einem lockeren,aber bestimmten Ton, immer wieder. Danach kündigt er die nächste „Vollgas-Runde“ an. Für ihn gehört es dazu, an der Schnittstelle zwischen Unterhaltung und Sicherheit seiner Gäste zu operieren. Bis am Ende des Tages alles abgebaut und für den nächsten Morgen vorbereitet ist, sind die Roie-Brüder knapp 14 Stunden auf den Beinen gewesen. Und am nächsten Tag geht es genauso weiter.

Was treibt eine Familie an, so viel Kraft und Zeit in ihren Beruf zu stecken? Thomas Roie lächelt: „Es ist kein Job; es ist eine Lebenseinstellung. Wir gehen nicht zur Arbeit, wir leben in unserer Arbeit.“ Was die Anstrengungen für sie wert macht, ist die Freude der Gäste, betonen die Brüder immer wieder. „Wir Schausteller bringen Menschen aus den verschiedensten Bereichen der Gesellschaft zusammen, und das seit Jahrhunderten“, sagt Peter Roie. „Und wir bieten eine Kommunikationsstätte fernab von Internet und WhatsApp. Vor allem nach Corona habe ich gesehen, wie schön es ist, die Leute ohne Eintritt unter freiem Himmel wieder zusammenzuführen.“ Sein Bruder pflichtet ihm bei. „Auf einem Volksfest sitzt du mit fünf, sechs verschiedenen Religionen gemeinsam lachend auf dem Karussell – so etwas schafft sonst niemand.“ Wer als Schausteller die Traditionen der Vergangenheit beibehalten will, plant auch immer für die Zukunft. Für Peter Roie steht deshalb ein neues Fahrgeschäft ganz oben auf der Liste. 2025 soll eine modernere Berg- und Talbahn die Flotte der Roies bereichern, schneller abbaubar und energiesparend, wie sein Bruder betont. Begeistert präsentiert er Konzeptvideos weiterer Achterbahnen, deren Anschaffung im Raum steht – ein finanzielles Risiko für die Familie. Sorgen macht der Schausteller sich deswegen jedoch nicht, denn er ist sich sicher: Auch in Zukunft werden die Menschen die Arbeit der Roies auf den Kirchweihen, Volksfesten und Jahrmärkten Hessens zu schätzen wissen. „Ich kenne kein Land, in dem es so viele Feste gibt, die nach 600 Jahren in ähnlicher Form immer noch gefeiert werden. Mittlerweile bin ich so lange mit meinen Fahrgeschäften unterwegs, dass ich weiß: Die nächste Generation kommt immer.“