Catcalling

Bild: Svenja Baum

Belästigungen ankreiden

Fast jede Frau hat es schon einmal erlebt: ein hinterhergerufener Spruch, ein ungefragter Kommentar, Hinterherpfeifen auf der Straße. Laura, Merle
und Michel sind Mitglieder der Gruppe „Catcalls of Wiesbaden“.
Auf ihrem Instagram-Account können Belästigungen gemeldet werden, und sie kreiden sie dort an, wo sie passieren.

SPD-Landtagsfraktion – Luisa Neurath

Was genau ist Catcalling eigentlich? Wie definiert ihr das?

Merle: Catcalling ist eine verbale sexuelle Belästigung auf der Straße. Das sollte auch nicht als Kompliment verharmlost werden. Im Prinzip kann man sagen: Alle Dinge, die in der Öffentlichkeit zu Frauen gesagt werden, die man so nicht zu seiner eigenen Mutter sagen würden.

Laura: Ob man etwas als Catcalling empfindet ist sehr subjektiv und hängt stark vom Kontext, der Wahrnehmung der Situation und der persönlichen Erfahrung ab. Für uns bedeutet das: Wenn uns jemand von einer belästigenden Erfahrung berichtet, dann glauben wir das und bewerten es nicht.

Was ist das Ziel eurer Kreide-Aktionen?

Laura: Wer Catcalling erlebt, kann uns das auf Instagram melden und wir schreiben die Erfahrung mit Kreide auf die Straße. Die Idee hinter dem Ankreiden ist es, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie häufig und alltäglich Belästigung ist. Es sensibilisiert Menschen, die selbst nicht davon betroffen sind, und gibt Betroffenen die Möglichkeit, ihre Erfahrungen zu verarbeiten.

Michel: Einerseits werden Menschen auf der Straße so direkt mit dem Thema konfrontiert. Sie stolpern in alltäglichen Situationen über die angekreideten Sprüche. Gleichzeitig dokumentieren wir unsere Aktionen auf Social Media, wo sie auf Dauer öffentlich bleiben können, auch wenn der Regen sie auf der Straße schon längst weggewaschen hat.

Merle: Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es sehr befriedigend ist, belästigende Kommentare anzukreiden. Ich hoffe wir können damit jungen Mädchen zeigen, dass sie mit ihren Erfahrungen nicht alleine sind, dass die Schuld nicht bei den Betroffenen liegt.

Wie ist das Feedback zu euren Aktionen?

Laura: Wir bekommen viel positives Feedback auf Instagram: Die Einsendungen von Catcalls, die Likes unter unseren Beiträgen und die vielen netten Nachrichten sind sehr motivierend. Auf der Straße gibt es aber auch negative Begegnungen. Manche Menschen versuchen, die Aktionen als lächerlich darzustellen und die Wichtigkeit kleinzureden.

Habt ihr das Gefühl, dass Belästigung immer noch ein Tabu-Thema ist? Wie kann man mit Catcall-Situationen umgehen?

Merle: Für mich ist es mittlerweile selbstverständlich, offen über Catcalling und Belästigung zu reden. Ich würde nicht sagen, dass es ein Tabu gibt – aber es wird häufig einfach nicht thematisiert. Was vielen Menschen nicht klar ist: von Catcalling sind hauptsächlich Minderjährige und sehr junge Frauen betroffen. Ich finde es deshalb vor allem wichtig, dass man den Betroffenen zuhört, ihnen glaubt und ihnen die Erfahrung nicht abspricht. Wenn ich Catcalling beobachte, versuche ich die Betroffene anzusprechen, auch im Nachhinein, und zu verdeutlichen: Du bist nicht alleine.

Michel: Ich denke es gibt keinen richtigen oder falschen Weg um einzugreifen. In einer solchen Situation nichts zu tun heißt in gewisser Weise, dass man übergriffiges Verhalten akzeptiert. Allerdings ist es für Beobachterinnen und Beobachter nicht immer sicher und möglich, aktiv zu werden und einzugreifen.

Laura: Ich arbeite als Erzieherin und mir ist es ein besonderes Anliegen, dass stärker mit Kindern und Jugendlichen über dieses Thema gesprochen wird. Wer Belästigung erlebt, normalisiert diese Erfahrungen auf Dauer. Ich wäre froh gewesen, wenn mir jemand als Jugendliche gesagt hätte: Catcalling ist nicht normal, es ist nicht deine Schuld, dass dir das passiert.