Drohschreiben NSU 2.0, unberechtigte Abfragen von Polizeicomputern, rechtsextreme Chats, u. a. von Beamten des SEK Frankfurt, die hessische Polizei macht Schlagzeilen mit rechtsextremen Auffälligkeiten. Sogar Innenminister Peter Beuth schließt ein rechtes Netzwerk in den Reihen der Polizei nicht mehr aus.
SPD-Landtagsfraktion – Jens Mohrherr
Herr Mohrherr, gibt es rechtsradikale Strukturen in der hessischen Polizei?
Nein. Es handelt sich hierbei um etwa 180 Fälle, in denen wegen rechtsextremistischer Vergehen gegen Beamt*innen ermittelt wird. Wir haben aber 21.000 Polizistinnen und Polizisten in Hessen. Unsere pluralistische Gesellschaft bildet sich auch unter ihnen ab. Wir haben Frauen, Männer, Migrantinnen und Migranten, Christen, Muslime und viele andere in der hessischen Polizei. Doch sie alle werden nun unter Generalverdacht gestellt, wegen weniger als 1 Prozent von ihnen, die offenbar rechtem Gedankengut anhängen. Das ist völlig maßlos, deplatziert und tut weh.
Wie ist die Stimmung unter den Polizistinnen und Polizisten?
Wir befinden uns ständig wie unter einem Brennglas. Die Polizistinnen und Polizisten stehen einerseits auf den Querdenkerdemos in der ersten Reihe, werden beschimpft, bespuckt und angegriffen und von anderen Teilen der Bevölkerung werden sie als rechtsextremistisch verurteilt und beschimpft. Egal wie, die Polizei bekommt Dresche. Das macht keine gute Stimmung. Nach den internen Verdachtsfällen herrscht außerdem große Angst vor Verfehlungen. Niemand traut sich mehr, beispielsweise Dienstpläne in Chatgruppen wie bei WhatsApp abzustimmen. Manche tragen ständig die Bodycam, filmen jedes Einschreiten, jede Personenkontrolle mit, um sich hinterher verteidigen zu können. Wird gegen einen Kollegen ermittelt, erleidet die Karriere einen Knick. Außerdem beobachten wir bei beschuldigten Kollegen, dass selbst nach Freisprüchen langwierige Disziplinarverfahren folgen. Manche Verfahren dauern Jahre. In dieser Zeit bleiben die Beamten vom Dienst suspendiert. Das macht etwas mit den Menschen, sie erleben soziale Ausgrenzung.
Wie sieht der Arbeitsalltag in den Revieren und Kommissariaten aus?
Der ist geprägt von einer hauchdünnen Personaldecke. Die Einstellungsoffensive kommt nicht bei der Basis an, denn viele Beamte werden in eine der 50 BAOs (Besondere Aufbauorganisationen) des Landes umgesetzt und fehlen dann an anderen wichtigen Stellen. Der Arbeitsdruck in den Revieren vor Ort ist hoch. Die Kolleginnen und Kollegen müssen entscheiden, zu welchen Einsätzen sie fahren. Sie können nicht mehr alles abdecken. Ihnen schlägt deshalb viel Ärger entgegen, sie bleiben hinter den eigenen Ansprüchen zurück und zu allem Überfluss fehlen ihnen Erholungsphasen. Die hessischen Polizisten haben derzeit einen Überstundenstand von 3,4 Millionen. Nach herausstechenden Einsätzen, wie etwa dem Anschlag in Volkmarsen oder auch nach Ermittlungen im Bereich der Kinderpornografie, fehlen Rückzugsräume, Beratungsangebote, Entlastungsintervalle. Eine Dienstgruppe/ ein Kommissariat sollte einmal im Monat die Gelegenheit bekommen, gemeinsam das Erlebte zu reflektieren, sich auszutauschen. Doch der Personalmangel macht dies unmöglich.
Was kann helfen?
Wir müssen Erholungsräume in Form von Präventionskursen und Supervision für Polizeibeschäftigte dauerhaft und in angemessener Anzahl initiieren. Das geht nur mit mehr Personal. Zudem brauchen wir eine durchgängige Transparenz der Vorwurfslagen. Die Kolleg*innen sind häufig gar nicht im Bilde, worum es bei den Vorwürfen, beispielsweise wegen Verbreitung rechten Gedankenguts, im Detail überhaupt geht. Wir brauchen eine von unten nach oben und von oben nach unten akzeptierte und gelebte Führungsund Fehlerkultur. Ich würde uns wünschen, dass der Innenminister in diesem Zusammenhang nicht nur Fehlverhalten der Polizei öffentlich darstellt, sondern ebenso die Polizei in der Öffentlichkeit entlastet. Es war schließlich die Polizei selbst, die den 53-jährigen Berliner, der mutmaßlich für die NSU- 2.0-Drohbriefe verantwortlich ist, ermittelt und dafür gesorgt hat, dass er vermutlich im Januar 2022 vor Gericht gestellt werden kann.
Jens Mohrherr ist seit 31. März Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Hessen. Er arbeitete zuletzt knapp 11 Jahre als Hauptpersonalratsvorsitzender der hessischen Polizei.