
Im NSU-Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags hat heute Nachmittag die Büroleiterin von Volker Bouffier bestätigt, dass dieser als Innenminister an der Entscheidung beteiligt war, die Information des Parlaments über den Fall Temme zu verzögern.
Ministerialdirigentin Karin Gätcke sagte aus, dass der damalige Innenminister Bouffier im Frühsommer 2006 in die Entscheidung einbezogen gewesen sei, den Fall Temme zunächst intern zu behandeln und den Hessischen Landtag nicht zu informieren. Gätcke bestätigte, dass das Innenministerium vorab von der geplanten Berichterstattung der BILD-Zeitung wusste. Da man aber nicht habe wissen können, wann und ob die BILD-Zeitung den Fall Temme tatsächlich veröffentlichen werde, habe man mit der Information des Parlaments gezögert.
Die Obfrau der SPD im Untersuchungsausschuss, Nancy Faeser, sagte dazu: Die Aussage von Frau Gätcke kann man nur so verstehen, dass das Innenministerium unter Volker Bouffier die gewählten Abgeordneten des Hessischen Landtags überhaupt nicht über die Causa Temme informiert hätte, wenn die BILD-Zeitung nicht damit an die Öffentlichkeit gegangen wäre. Darin offenbart sich eine überaus bemerkenswerte Auffassung des damaligen Innenministers und heutigen Ministerpräsidenten über das Verhältnis zwischen Parlament und Regierung. Wahrscheinlich ohne es zu merken hat Frau Gätcke dem Untersuchungsausschuss heute einen tiefen und erschreckenden Einblick in das Amtsverständnis von Volker Bouffier gewährt.
Hintergrund:
Halit Yozgat wurde am 6. April 2006 in seinem Internetcafé in Kassel ermordet ein Verbrechen, das später dem so genannten Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) zugeschrieben werden konnte. Zur Tatzeit war der damalige Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temme dort anwesend. Dieser verließ den Tatort angeblich ohne die Bluttat bemerkt oder die Leiche von Halit Yozgat gesehen zu haben und gab sich erst zwei Wochen später als möglicher Zeuge zu erkennen.
Das Innenministerium unter Volker Bouffier war spätestens mit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Temme und einer Durchsuchung von dessen Arbeitsplatz im Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) im April 2006 über den Vorgang informiert. Dennoch unterließ es der damalige stellvertretende Präsident des LfV, Abteilungsdirektor Peter Stark, die Parlamentarische Kontrollkommission für den Verfassungsschutz (PKV) des Hessischen Landtags zu unterrichten. Offenbar in Absprache mit der damaligen Innenstaatssekretärin Oda Scheibelhuber verzichtete er darauf, die PKV in deren regulärer Sitzung am 3. Mai 2006 von dem Fall Temme in Kenntnis zu setzen. Auch danach sahen das Innenministerium und das LfV keine Notwendigkeit, die Mitglieder der PKV über diesen außergewöhnlichen Vorgang zu unterrichten.
Spätestens ab dem 6. Juli 2006 wussten die mit der Sache befassten Entscheidungsträger im Innenministerium, dass der Fall Temme in der Redaktion der BILD-Zeitung bekannt war auch der damalige Minister Volker Bouffier. Doch noch immer gab es keine Initiative von Seiten des Ministeriums, die Kontrollkommission ins Bild zu setzen. Erst nachdem die Online-Ausgabe der BILD-Zeitung am 13. Juli 2006 ausführlich über den Fall Temme berichtete, entschloss sich das Innenministerium zu einer Information des Parlaments. Diese erfolgte dann schließlich am 17. Juli 2006, als das Ministerium in der PKV und im Innenausschuss des Hessischen Landtages Bericht erstattete.