
In einer Pressekonferenz zu einer Großen Anfrage der SPD zum Rechtsextremismus in Hessen hat die für den Bereich zuständige Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Lisa Gnadl, die Antworten als enttäuschend bezeichnet. Über acht Monate hat die Landesregierung für die Beantwortung der Großen Anfrage der SPD-Fraktion zum Thema Rechtsextremismus gebraucht. Leider sind viele der gelieferten Antworten nur sehr dünn. Gerade im Bereich der Bewertung von rechtsextremen Gruppen bleiben viele Fragen offen. Nicht zuletzt, weil relevante neue Organisationsformen der extremen Rechten, die klar dem rechtsextremen Spektrum zuzurechnen sind, für den hessischen Verfassungsschutz kein Beobachtungsobjekt sind, sagte die SPD-Politikerin am Freitag in Wiesbaden.
Insgesamt werfe die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der SPD mehr Fragen auf, als sie Antworten gebe: Diese Landesregierung beantwortet nur, was schon bekannt ist, häufig nicht mal das. Dass es mittlerweile eine bessere finanzielle Ausstattung der Präventionsarbeit gibt, ist vor allem dem Bund zu verdanken. Von Landesseite wird das Thema weiterhin nachlässig behandelt. Dabei ist die Faktenresistenz der Landesregierung bei der Bewertung rechtsextremer Gruppierung oder der Forschung über rechtsextreme Einstellungsmuster in besonderem Maße beunruhigend. Die erschreckenden Enthüllungen und das Versagen rund um die NSU-Morde scheinen bei der Landesregierung weder zu einem grundlegenden Umdenken, noch zu mehr Wachsamkeit und Sensibilität geführt zu haben., so Gnadl
Als besonders bedenklich wertete Gnadl die in der Antwort auf die große Anfrage vorgelegten Zahlen zu Übergriffen und Aufrufen zu Straftaten auf Flüchtlingsunterkünfte. So seien im vergangenen Jahr in Hessen insgesamt sieben Delikte auf Flüchtlingsunterkünfte registriert worden, davon alleine sechs im Herbst 2014. Zum Vergleich: In den neun Jahren zuvor waren es laut Innenministerium zusammen insgesamt sechs Angriffe. Diese Entwicklung sehen wir mit großer Sorge und sie muss gestoppt werden. Wir müssen jetzt handeln, bevor es zu einer Eskalation kommt! fordert Gnadl von der Landesregierung auch mit Blick auf den jüngsten Vorfall, die Schüsse auf das Flüchtlingsheim in Hofheim.
Gnadl begrüßte ausdrücklich die Initiative zivilgesellschaftlicher Partner aus dem Beratungsnetzwerk Hessen Mobile Intervention gegen Rechtsextremismus, die in diesem Bereich die Prävention stärken wollen, etwa durch Beratungsangebote für Kommunen. Ich bin den Trägern im Beratungsnetzwerk dankbar für solche Initiativen, denn sie sind leider dringend nötig, so Gnadl.
Konkrete Maßnahmen der Landesregierung zur Vorbeugung solcher Straftaten seien aus ihrer Antwort auf die SPD-Anfrage allerdings kaum zu entnehmen: Wie Polizei und Landesregierung mit dem Thema umgehen wollen, ist in der Antwort des Ministers absolut schwammig formuliert und leider ziemlich nichtssagend. Dass nach Straftaten Ermittlungen durchgeführt werden, halte ich für selbstverständlich. Die Frage ist doch, wie wir Zustände, wie sie jetzt in Tröglitz zu Tage treten, in Hessen verhindern können. Dafür wünsche ich mir ein pro-aktives Vorgehen der Landesregierung, so die SPD-Abgeordnete. Nach Auffassung der SPD sollten die Kommunen stärker bei der Flüchtlingsunterbringung und -betreuung unterstützt werden.
Auch fehle in der Antwort der Landesregierung beispielsweise eine Auseinandersetzung mit der sogenannten Identitären Bewegung. Diese ist derzeit die am schnellsten wachsende Gruppierung im Bereich des organisierten Rechtsextremismus, so Gnadl. Nicht ohne Grund beobachteten die Verfassungsschutzorganisationen anderer Bundesländer die Identitäre Bewegung als rechtsextreme Gruppierung. Wer sich die Facebook-Profile der Identitären in Hessen anschaut, findet dort Videos und Postings, die eindeutig als rechtsextrem zu klassifizieren sind. Zudem gibt es dort Verlinkungen zu Videos des NPD-Liedermachers Frank Rennicke. Wenn das nicht rechtsextrem ist, was dann?, fragt Gnadl. Dass die Identitären trotz expliziter Nachfrage seitens der SPD in der Antwort der Landesregierung keinerlei Erwähnung fänden, werfe die Frage auf, ob die Landesregierung aus Unwissenheit nicht auf das Problem eingehe oder hier bewusst wegschaue.
Insgesamt sei eine Veränderung der rechten Szene zu beobachten. Zwar geht die Anzahl rechtsextremer Skinheads zurück, wie auch aus der Antwort der Landesregierung deutlich wird. Das ist aber allein mit einer kulturellen Veränderung der Szene zu erklären, hin zu sogenannten Autonomen Nationalisten oder eben Identitären und darf nicht mit einem Rückgang des rechtsextremen Potentials verwechselt werden, so die SPD-Fachsprecherin.
Bei Fragen zu der Bewertung rechtsextremistischer Strömungen innerhalb der AfD verweigere die Landesregierung die Aussage vollständig. Weil die AfD nicht vom Verfassungsschutz beobachtet wird, traut sich die Landesregierung hier offenbar kein eigenes Urteil zu. Dabei ist regelmäßig in der Presse zu lesen, dass beispielsweise in Kreisverbänden die AfD von Rechtextremen als Plattform benutzt wird, so Gnadl. Spätestens mit der Erfurter Resolution, die auch von vielen hessischen AfD-Mitgliedern unterzeichnet wurde, sei öffentlich sichtbar geworden, dass sich ein massiver Rechtsrutsch in der AfD anbahne. Die Landesregierung scheint diese bedenklichen Entwicklungen einfach ignorieren zu wollen. Bei Ihrer Nicht-Antwort auf unsere diesbezüglich gestellten Fragen zieht sie sich darauf zurück, dass die AfD nicht vom Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet wird und verweigert jegliche politische Bewertung, so Gnadl.
Generell scheine es, als wolle die Landesregierung nicht wahrhaben, dass rechtsextremes und fremdenfeindliches Gedankengut teilweise bis tief in die Mitte der Gesellschaft Wurzeln schlage. Das Innenministerium stellt anerkannte Studien als umstritten und unwissenschaftlich dar. Selbst die neuen Präventionsprogramme von Land und Bund basieren aber auf Erkenntnissen dieser Forschungsansätze. Indem diese Studien vom Innenministerium relativiert werden, ignoriert es die rechten Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft. Das ist ein weiterer blinder Fleck der Landesregierung im Bereich Rechtsextremismus, so die SPD-Abgeordnete.