Christoph Degen: Bildung darf nicht von Herkunft und Wohnort abhängen

Auch der neueste „Chancenspiegel“ der Bertelsmann-Stiftung bescheinigt dem hessischen Schulsystem nur Mittelmäßigkeit. „Bei der Durchlässigkeit, der Kompetenzförderung der Kinder und der Zertifikatsvergabe liegt Hessen weiter im Mittelfeld, allerdings mit Ausreißern nach unten“, erklärte der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion Christoph Degen am Donnerstag in Wiesbaden.

Hessen schneide bei Bildungsgerechtigkeit nur minimal besser ab als in den Vorjahren, habe aber weiterhin gravierende Defizite, über die behoben werden müssten. „Der Anteil der Schulabgänger ohne Abschluss ist nicht hinnehmbar. Wenn in manchen Regionen an den Schulen jeder zehnte Schüler nicht zum Hauptschulabschluss geführt wird, ist das eine Bankrotterklärung der Landesregierung.“

Hessen weise mit 3,2 Prozent die bundesweit höchste Quote von Sitzenbleibern in der Sekundarstufe I und II auf. Das zeige einmal mehr, dass die notwendige Förderung in Hessen vielerorts fehle und zu viele Schülerinnen und Schüler die Misserfolgserfahrung der Klassenwiederholung sammelten. Einen weiteren Ausreißerwert verzeichne Hessen in Bezug auf Schulwechsler in den Jahrgangsstufen 7 bis 9, wo es mit Bayern an der Spitze liege. Insgesamt 415 Aufwärtswechseln in eine vermeintlich höhere Schulart standen 3.176 Abwärtswechsel gegenüber, mit einer erheblichen regionalen Spreizung.

Aus Sicht der SPD sorge gerade die Zersplitterung des hessischen Schulsystems dafür, dass Chancengleichheit nicht mehr gegeben sei. Es müsse mehr Schulen geben, die alle Bildungsgänge bis zum Abitur anbieten, gerade vor dem Hintergrund demografischer Entwicklung. „Die Schulangebotsstruktur muss auf den Prüfstand, um die Pseudovielfalt zu beenden“, so Degen.

Statt das breite institutionelle Schulspektrum auszubauen, sei eine Verschlankung notwendig sowie der Ausbau der individuellen Fördersysteme und der gebundenen Ganztagsschulen. Die vordergründig wohlklingenden Zahlen bei den ganztägigen Angeboten seien zu hinterfragen. Das, was die Landesregierung anbiete, sei nicht mit den vom Chancenspiegel geforderten ‚echten‘ Ganztagsschulen zu vergleichen, gerade im Grundschulbereich. „Wir werden im Rahmen der Haushaltsberatungen ein Ausbauprogramm zu echten Ganztagsschulen einbringen“, kündigte Degen an.

Erhebliche regionale Unterschiede existierten auch beim Wechsel von der Grundschule auf ein Gymnasium. Je Region liege der Anteil zwischen 32,4 und 63,3 Prozent, was aus den regionalen Schulangeboten resultiere. Trotzdem müsse die regionale Benachteiligung, die mit sozialer Herkunft einhergehe, untersucht werden. „Das hessische Schulsystem ist ein Flickenteppich ohne gleiche Perspektiven für alle Schülerinnen und Schüler. Wenn in manchen Regionen nicht mehr alle Bildungsgänge in erreichbarer Nähe sind, ist das ein Problem.“

„Die Verwirklichung von Chancengleichheit bedarf neben der fachlichen Auseinandersetzung auch der Bereitstellung von zusätzlichen Ressourcen. Dazu ist die Landesregierung leider nicht bereit. Das Schulsystem ist ungerecht und ein Gegensteuern dringend erforderlich. Wir brauchen echte Ganztagsschulen, mehr individuelle Förderung und einen Ausbau der Schulsozialarbeit“, forderte Degen abschließend.