Stefan Aust für sein Lebenswerk als Publizist geehrt

Der hessische SPD-Fraktions- und Landesvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel hat bei der heutigen Verleihung des Georg-August-Zinn-Preises den diesjährigen Preisträger Stefan Aust für sein Lebenswerk als Journalist und Autor geehrt. „Mit Ihrem Lebenswerk haben Sie die Publizistik in Deutschland geprägt und Maßstäbe gesetzt. Ich freue mich, dass Ihnen dafür das Kuratorium des Georg-August-Zinn-Preises diese Auszeichnung zuerkannt hat. Unter Ihrer Ägide war der Spiegel ein journalistisches Flaggschiff und im besten Sinne ein Leitmedium der deutschen Publizistik. Darüber hinaus haben Sie mit spiegel.tv gezeigt, wie viel Qualität das gerade entstehende Privatfernsehen haben konnte. Sie haben wichtige Bücher verfasst – ich erinnere an den „Baader-Meinhof-Komplex“. Besonders aufmerksam gemacht hat uns hier in Hessen aber das gemeinsam mit Dirk Laabs verfasste Buch „Heimatschutz“. „Heimatschutz“ ist ungemein wichtig im Zuge der Aufarbeitung der NSU-Verbrechen und des damit verbundenen Versagens der Sicherheitsbehörden. Es trägt dazu bei, den Opfern ein Stück Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die allen Grund hatten, sich von diesem Staat verlassen zu fühlen“, sagte der SPD-Politiker am Dienstag in Wiesbaden. Er freue sich deshalb auch, dass Frau Dierbach als Vertreterin der NSU-Opfer bei der Preis-Verleihung dabei sein könne.

„Das kollektive Versagen angesichts der NSU-Mordserie muss uns alle mit Scham erfüllen. Und es macht mich zornig, dass es immer noch Beteiligte gibt, die diese Scham offensichtlich nicht empfinden. Wir können das Leid der Opferfamilien nicht lindern. Wir können die Fehler, die gemacht worden sind, nicht korrigieren. Aber wir können das Signal geben, dass wir an der Seite der Opfer stehen. Dass wir erschüttert sind von der Mordserie und von dieser sinnlosen, brutalen Gewalt aus niedrigsten, nämlich rassistischen Motiven. Wie konnte es passieren, dass Polizei und Staatsanwaltschaft sich in Sackgassen verrannt haben und dabei den Opfern des Gefühl gegeben haben, zusätzlich zu ihrem großen Verlust auch noch gedemütigt und verdächtigt zu werden. Die Antworten auf diese Fragen sind bis heute unzureichend. Mit Ihrem Buch halten Sie eine Diskussion am Laufen, die unverzichtbar und noch lange nicht abgeschlossen ist. Vielen Dank dafür“, sagte Schäfer-Gümbel.

In seiner Laudatio ehrte der Fernsehjournalist und ehemalige ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender Stefan Aust dafür, dass er „bis heute geradezu magnetisch von Wegmarken der jüngeren deutschen Geschichte angezogen wird, die das Selbstgefühl des Landes in Frage stellen, bedrohen oder verändern“. „So klaffen unaufgeklärte Morde der RAF wie der NSU wie offene Wunden im Staats- und Gesellschaftsverständnis unserer Republik. In der Beschäftigung mit diesen zentralen Themen geht er als Journalist auf. Er entreißt sie der Gefahr der Verklärung und der falschen Legendenbildung. Stefan Aust ein Aufklärer im eigent-
lichen Sinne des Wortes: penibel, ohne Furcht vor unerwarteten Ergebnissen seiner
Recherchen, ohne Rücksicht auf deren Auswirkungen. Er lebt, und arbeitet in der vollen Überzeugung eines Journalisten, dass nur die Wahrheit die Demokratie stabil hält“.

Aust verwies in seiner Rede darauf, dass die Hälfte des Preises seinem Kollegen Dirk Laabs zustehe, da ja das gemeinsame Buch Heimatschutz Teil der Auszeichnung sei. „Die Geschichte der Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrundes", bei dem Halit Yozgat das 9. Mordopfer war, ist in der Tat ein Anlass, sich auf die Grundlagen des kritischen Journalismus zu besinnen. Es ist fast genau drei Jahre her, als in einem brennenden Camper die Leichen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gefunden wurden – und daneben die Beweise für zehn Morde. Warum zwei Rechtsradikale zu ihrem 14. Banküberfall die Beweise für zehn Morde mit sich führen, erschließt sich mir bis heute nicht. Und auch sonst ist der Fall alles andere als aufgeklärt, obwohl zwei Untersuchungsausschüsse, einer in Berlin, einer in Erfurt bereits sehr gute Aufklärungsarbeit geleistet haben – die dabei zu Tage geförderten Materialien haben uns bei der Arbeit am "Heimatschutz" sehr geholfen.

Umso wichtiger ist es, dass drei neue Untersuchungsausschüsse, einer in Nordrhein-Westfalen, einer in Hessen – und neuerdings auch einer in Baden-Württemberg – die zentralen noch offenen Fragen aufklären sollen. Wir würden uns freuen, wenn unser Buch daran einen kleinen Anteil gehabt hat. Und wir werden den Fall auch weiter mit Argusaugen verfolgen. Vor allem dem Untersuchungsausschuss hier in Wiesbaden wird dabei eine ganz besondere Rolle zufallen. Es geht dabei um eine einfache, aber möglicherweise entscheidende Frage: War der hessische Verfassungsschutzbeamte tatsächlich, wie er behauptet privat und eher zufällig am Tatort im Internet-Café – oder war er dienstlich dort, worauf vieles hindeutet? Das allerdings würde dann kolossale Fragen darüber aufwerfen, wie nah der Verfassungsschutz den Tätern des NSU tatsächlich war“, so Aust.

Den NSU-Komplex bezeichnete Aust als ein Beispiel dafür, was kritischer Journalismus leisten könne und leisten müsse. „Journalismus muss offizielle Versionen hinterfragen, ohne sich dabei in Verschwörungstheorien zu verlieren. Dabei ist Hartnäckigkeit erforderlich.“

Kritischer Journalismus habe es aber zunehmend schwerer. „Im Internet verdient außer Google niemand. Die Printobjekte, die den Online-Auftritt ihrer Marken durchweg subventionieren, verlieren an Auflage und an Werbeerlösen. Die Folgen sind Kürzungen im redaktionellen Bereich, Zusammenlegung von Redaktionen, Ausflaggen in billigere Tochterunternehmen und am Ende Entlassungen. Und auch die Aufträge, die Öffentlich-Rechtliche Fernsehanstalten vergeben, werden immer knapper finanziert. Für jeden Dokumentations-Sendeplatz steht ein Dutzend Produzenten Schlange“, so Aust.

Dennoch bestehe Hoffnung für den kritischen Journalismus. „Journalismus hat sich noch nie über sich selbst finanziert, sondern immer vor allem durch Werbung. Und die hat inzwischen ihren eigenen Weg gefunden: als Anzeigenportale für Immobilien, Autos, Stellenangebote. Man braucht den Journalisten nicht mehr, um seine Ware zu verkaufen. Das ist das Problem. Also wird der Journalismus selbst das Produkt sein müssen, für das jemand freiwillig Geld ausgibt. Und da gibt es wirklich viel zu tun.
Die Zeit des kritischen Journalismus, den eine Gesellschaft braucht um zu erkennen und zu verstehen, was in der Welt passiert ist noch längst nicht vorbei“, sagte Aust.

Auch das Buch "Heimatschutz" sei übrigens ursprünglich als Fernsehprojekt gedacht gewesen. Vor drei Jahren. „Wir sind hoffnungsvoll: Ende dieser Woche führen wir ein Gespräch bei einem großen Sender“, so der Preisträger.