
Die Innenminister der Bundesländer Baden-Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein haben sich im Rahmen eines für die A-Länder-Innenminister durchgeführten Gesprächstermins in Hessen gemeinsam mit der innenpolitischen Sprecherin der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag Nancy Faeser und dem parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion Thomas Oppermann mit den nachfolgenden innenpolitischen Themen befasst:
Reform des Verfassungsschutzes
Mit einem Beschluss über verbindliche und einheitliche Standards für das Gewinnen und den Einsatz von V-Leuten setzten die Innenminister und -senatoren der Länder auf ihrer Frühjahrstagung den eingeschlagenen Reformkurs zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes fort. Der Verfassungsschutz kann als Frühwarnsystem auf den Einsatz von V-Leuten nicht verzichten. Extremisten kommunizieren und koordinieren nicht in der Öffentlichkeit, sondern im Verborgenen. So wichtig der Einsatz von V-Leuten ist, so wichtig sind auch hierfür klare und transparente Regeln, um die erforderliche gesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen. Eine zentral geführte, V-Leute-Datei soll helfen, den V-Mann-Einsatz zentral zu koordinieren, um „Blinde Flecken“ der Erkenntnisgewinnung zu identifizieren oder eine Massierung von Quellen in bestimmten Phänomenbereichen/Beobachtungsobjekten zu vermeiden. Wir brauchen das, um dem Vorwurf entgegenzuwirken, extremistische Gruppierungen würden von den deutschen Nachrichtendiensten unterstützt oder gar gesteuert. Ein weiterer wesentlicher Baustein für die Neuausrichtung des Verfassungsschutzes ist eine stärkere Vernetzung und Kooperation der Verfassungsschutzbehörden untereinander. Bei der Bekämpfung von Extremisten brauchen wir einen verpflichtenden, wechselseitigen Informationsaustausch innerhalb des Verfassungsschutzverbundes. Denn eine funktionierende Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Kampf gegen gefährliche Extremisten ist unverzichtbar. Netzwerke des Terrors verlangen von den Sicherheitsbehörden ein mindestens ebenso effektives Netzwerk von Information und Analyse. Vertiefte Kenntnisse der örtlichen und regionalen Szene sind zur Beobachtung und Analyse extremistischer Phänomene genauso wichtig, wie die Zusammenführung dieser Erkenntnisse auf Bundes- und internationaler Ebene.
Unabdingbar ist es, die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern weiter zu verbessern.
In diesem Kontext begrüßen die Innenminister und beteiligten Innenpolitiker die Initiative der SPD-Landtagsfraktion Hessen zur Neufassung der Arbeitsstrukturen des hessischen Verfassungsschutzes sowie zur Erweiterung und Stärkung der parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes (Landtagsdrucksache 18/7352) vom 14.05.2013. Der Gesetzentwurf ist ein deutlicher Schritt in die richtige Richtung, um die gesetzlichen Regelungen in den einzelnen Ländern über die Arbeit des Verfassungsschutzes zu harmonisieren und zu einheitlichen Standards zu gelangen.
Konsequenzen aus den NSU-Morden
Es gehört zu den vordringlichen innenpolitischen Aufgaben, die Erkenntnisse, die in Zusammenhang mit der Aufklärung der schrecklichen Morde der rechtsextremistischen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) zeitnah auszuwerten und die offenbar gewordenen Defizite zu beheben.
Neben den bereits in Bezug auf den Verfassungsschutz dargestellten Reformen gibt es noch weiteren Handlungsbedarf bei Polizei und Justiz. So ist es nach allen Erfahrungen notwendig, da Bund und Länder gemeinsam die Möglichkeit stärken, Ermittlungen beim BKA und Generalbundesanwalt zentral zu führen
Aber nicht nur der Staat, sondern auch große Teile der Gesellschaft haben den Rechtsextremismus und rassistische Diskriminierungen unterschätzt. Die Innenminister- und –senatoren sowie die Innenpolitiker der SPD sind sich deshalb darin einig, dass wir ein aktives gesellschaftliches Engagement gegen Rassismus und Rechtsextremismus brauchen. Aus sozialdemokratischer Sicht gilt es daher einen Masterplan gegen Rassismus und Rechtsextremismus zu entwickeln und umzusetzen, in dem Sicherheitsbehörden, Zivilgesellschaft und der Bildungssektor zusammenarbeiten.
Ausgangspunkt ist das gemeinsame Ziel einer offenen und toleranten Gesellschaft, in der Rassismus keinen Platz hat. Wechselseitiger Respekt ist eine wichtige Voraussetzung für unsere Demokratie. Rassismus und Rechtsextremismus stellen diese Werte in Frage. Das dürfen wir nicht akzeptieren.
Die vom Rechtsextremismus ausgehenden Gefahren müssen im Bund und in den Ländern nach den Erkenntnissen aus der Aufklärung der NSU-Morde aufs Neue analysiert und bewertet werden, denn täglich werden rd. 45 Straftaten mit rechtem Hintergrund begangen und wir stellen fest, dass die Gewaltbereitschaft der Anhänger des Rechtsextremismus zunimmt. Dem ist auf die unterschiedlichste Weise zu begegnen; denn es geht auch darum, von Rassismus bedrohte Menschen künftig besser schützen zu können.
Dabei geht es um ein Bündel unterschiedlichster Maßnahmen. Wir wollen das Rückgrat unserer Gesellschaft durch Bildung und Aufklärung stärken und aktives Engagement gegen Rassismus und Rechtsextremismus sowie für Demokratie ermuntern und unterstützen.
Im Einzelnen sollte die Entwicklung eines Masterplans gegen Rassismus und Rechtsextremismus insbesondere folgende Schwerpunkte haben:
- Polizei und Justiz sind für Rassismus und Rechtsextremismus weiter zu sensibilisieren, damit rassistisch motivierte Taten schneller erkannt und adäquat bearbeitet werden können. Dafür wollen wir beispielsweise die interkulturelle Kompetenz stärken und mehr Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst einstellen.
- Es bedarf einer Verstetigung der Finanzierung von Programmen gegen den Rechtsextremismus sowie einer effizienteren Programmstruktur durch eine zentrale Regiestelle zur Qualitätskontrolle und für fachlichen Austausch sowie durch eine Zusammenbindung der vorhandenen Programme.
- Die Bildung zu Menschenrechten und zur Demokratiefähigkeit sowie die antirassistische Bildung sind in allen Bereichen des Bildungssystems vom Elementarbereich an stärker zu etablieren. Dabei sollten auch präventive Projekte in Schulen (Beispiel: „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“) bundesweit ausgebaut werden.
Ergänzend gibt es hierzu ebenfalls unterschiedliche von der Sozialdemokratie entwickelte Ansätze in den Ländern, wie z.B. die Anträge im Hessischen Landtag für ein Landesprogramm gegen Rechtsextremismus (Landtagsdrucksachen 18/5068 und 18/5697) oder das ressortübergreifende Landesprogramm gegen Rechtsextremismus, das derzeit in Niedersachsen erarbeitet wird. Diese Ansätze gilt es gemeinsam mit dem Masterplan weiter zu entwickeln; denn eine offene und tolerante Gesellschaft kommt nicht von allein. Wir müssen etwas dafür tun.
Überwachung deutscher Staatsbürger durch die USA und Großbritannien
Die Enthüllungen des Edward Snowden offenbaren die alltägliche Ausspähung von Briefen, E-Mails, Telefondaten und IP-Adressen in einem Ausmaß, das zuvor kaum jemand für möglich gehalten hätte.
Schrankenlose Überwachungsaktivitäten ausländischer Nachrichtendienste auf dem Gebiet der Bundesrepublik oder gegen deutsche Staatsangehörige darf es nicht geben. Hier trifft den Staat eine Schutzpflicht für die Grundrechte seiner Einwohner.
Auch 10 Wochen nach den Enthüllungen Edwards Snowdens hat die Bundesregierung uns noch nicht aufgeklärt, ob und wie US-amerikanische und britische Geheimdienste deutsche Staatsbürger überwachen. Insbesondere kann die Bundesregierung nichtausschließen, dass innerdeutsche Kommunikation, die über ausländische Leitungen, Netze und Serverläuft, von der NSA überwacht wird.
Wir fordern die Bundesregierung auf
- unverzüglich aufzuklären, ob, wie und in welchem Umfang US-amerikanische und britische Geheimdienste deutsche Staatsbürger ausspähen
- dafür Sorge zu tragen, dass diese Praktiken unverzüglich gestoppt und die Grundrechte geachtet werden.
- Vorkehrungen zu treffen, dass die deutsche Wirtschaft wirksam vor Wirtschaftsspionage geschützt wird.
Zudem müssen wir den Datenschutz auf eine neue Grundlage stellen. Dafür brauchen wir zuerst einen starken Datenschutz auf EU-Ebene. Das digitale Zeitalter braucht zudem ein Internet-Völkerrecht, das unsere Grundrechte im Netz weltweit sichert.
Ein ungehinderter Zugang zum Internet ist für demokratische Gesellschaften unverzichtbar. Offenheit, Transparenz und Freiheit des Internets sind zentrale Voraussetzungen dafür, dass das Netz seine demokratiefördernden Potenziale behält. Grund- und Menschenrechte wie Meinungs-, Informations- und Kommunikationsfreiheit müssen in der digitalen Gesellschaft genau so geschützt sein und durchgesetzt werden wie in der analogen Welt. In der global vernetzten Welt müssen auch die Bürgerrechte globale Geltung haben und durchgesetzt werden.
„Kurve kriegen“ – Modellprojekt zu Bekämpfung der Jugendkriminalität
Nachhaltige Bekämpfung von Kriminalität braucht repressive Maßnahmen und Bestrafungen, aber auch präventive Schritte um gerade Kinder und Jugendliche davor zu bewahren, in eine kriminelle Karriere abzugleiten.
Aus diesem Grund haben sich die Innenminister der A-Länder heute gemeinsam mit der innenpolitischen Sprecherin der hessischen SPD-Landtagsfraktion Nancy Faeser, dem parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion Thomas Oppermann und weiteren sozialdemokratischen Innenpolitikern mit dem Problem der Jugendkriminalität befasst.
Dabei standen in besonderer Weise das in NRW entwickelte Modell „Kurve kriegen“ sowie das in SH entwickelte Präventionskonzept „Deeskalationstrainer im Netzwerk“ im Vordergrund. Das Projekt „Kurve kriegen“ verfolgt den Ansatz, für delinquente Kinder und Jugendliche frühe Hilfestellungen anzubieten, um weiteren Straftaten und einem Abrutschen in die Kriminalität vorzubeugen. Das Projekt wendet sich an Kinder und Jugendliche im Alter von 8 bis 15 Jahren, die bereits eine Gewalttat oder drei schwere Eigentumsdelikte begangen haben. In einem engen Netzwerk arbeiten vor Ort pädagogische Fachkräfte von freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe gemeinsam mit Polizeibeamten zusammen. Sie stehen den Kindern und Jugendlichen sowie deren Erziehungsberechtigten als direkte Ansprechpartner zur Verfügung. Sie koordinieren und begleiten die Betroffenen in Abstimmung mit den Jugendämtern bei individuellen Maßnahmen, wie Anti-Aggressions-Trainings, Elterntrainings, Lernhilfen, Sprach- und Sportkursen sowie bei der Wahrnehmung von Angeboten verschiedener Beratungsstellen, therapeutischer Maßnahmen und ambulanter, teilstationärer und stationäre Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe.
Damit bietet das Modellprojekt einen über die bloße Strafverfolgung weit hinausgehenden, ganzheitlichen und präventiven Ansatz zur Bekämpfung der Kinder- und Jugendkriminalität. Denn es werden in besonderer Weise die Ursachen für deliktisches Verhalten der Kinder und Jugendlichen berücksichtigt. Hintergrund der Fehlentwicklungen bei Kindern und Jugendlichen sind oftmals eine ganze Fülle von familiären, sozialen und persönlichkeitsbezogenen Problemen, die ein Abgleiten in die Kriminalität begünstigen. Je mehr Probleme zusammen kommen, desto höher ist das Risiko für die Kinder und Jugendlichen, straffällig zu werden. Eine Bezugnahme auf diese sogenannten Risikofaktoren ist deshalb für eine effektive Präventions- und Kriminalpolitik erforderlich und wegweisend.
Dieser ganzheitliche Ansatz wird daher auch durch das Präventionskonzept „Deeskalationstrainer im Netzwerk“ verfolgt. Das Konzept wurde in der Polizeidirektion Flensburg in Kooperation mit dem Kriminalpräventiven Rat der Stadt Flensburg und der Gewaltakademie Villigst für LehrerInnen, (Schul-) SozialarbeiterInnen und PolizistInnen entwickelt und Anfang 2010 mit dem Start der modularen Ausbildung für die ersten 27 DeeskalationstrainerInnen in die Praxis umgesetzt.
Während der anderthalbjährigen modularen Ausbildung an der „Gewalt Akademie Villigst“ beschäftigen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in berufsbegleitenden Kursen mit den Themen „Gewalt erkennen und benennen können“, „Konstruktive Konfliktbearbeitung durch Prävention, Deeskalation und Intervention“ sowie „Mobbing“ und „Fremdenfeindlichkeit“.
Ziel der Ausbildung ist es, qualifizierte Basisteams aus den Bereichen Schule, Soziales und Polizei in der Stadt Flensburg und dem Kreis Schleswig-Flensburg zu installieren. Über die gemeinsame Ausbildung sollen die unterschiedlichen Fachlichkeiten synchronisiert werden, ohne dass dabei die aufgabenspezifischen Kompetenzen überschritten werden.
Die mittlerweile 54 ausgebildeten Personen stehen sowohl als Trainer für Lehrer, Polizisten und Sozialarbeiter, als auch für konkrete Maßnahmen in Schulen und Einrichtungen zur Verfügung.
Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit steigt auch das Vertrauen der verschiedenen Professionen in die Kompetenzen der jeweiligen Partner, was zusätzlich das Ziel einer erfolgreichen Präventionsarbeit unterstützt und zum großen Erfolg des Präventionskonzeptes beiträgt.
Damit stellen die Modellprojekte aus NRW und SH aus Sicht der Innenminister und Innenpolitiker eine hervorragende Ergänzung zu den Häusern des Jugendrechts da, bei denen Jugendhilfeeinrichtungen, die Polizei und die Staatsanwaltschaften erfolgreich zusammenarbeiten, um gezielt auf delinquentes Verhalten von Jugendlichen und Heranwachsenden zu reagieren.