Veranstaltung der SPD-Landtagsfraktion zum Internationalen Frauentag 2011

Ich darf Sie alle recht herzlich in Wiesbaden begrüßen und freue mich sehr, dass so viele Gäste, darunter KollegInnen aus der Landtagsfraktion, KommunalpolitikerInnen, Bürgermeisterinnen und Vertreter und Vertreterinnen der Kirchen, von Verbänden und Einrichtungen hier sind, um das erste Jahrhundert „Weltfrauentag“ mit uns zu feiern.

Wir haben heute eine der Powerfrauen eingeladen – Inge Wettig-Danielmeier – die über lange Jahre als Bundesvorsitzende der AsF inner- und außerhalb der SPD für die Rechte der Frauen gekämpft hat. Wir haben eine lange gemeinsame Geschichte, u.a. haben wir mit vielen anderen die Einführung der innerparteilichen Quote erkämpft, die seit 1988 im Organisationsstatut der SPD verankert ist. Herzlich willkommen, liebe Inge, ich freue mich, dass Du heute zu uns sprechen wirst!

Ich freue mich, dass das Trio „Jazzabel“ aus Marburg unserer Veranstaltung heute musikalischen Glanz verleiht und sehe dem heiteren Intermezzo des Galli-Theaters, das Auszüge aus dem Programm „Männerschlussverkauf“ präsentieren wird, gespannt entgegen.

VIEL FRAUENPOWER – und immer noch zu viele verhinderte POWERFRAUEN!
Das wäre mein Fazit zum „Internationalen Frauentag“ 2011, der sich zum 100. Mal jährt. Denn es war über die Jahrzehnte verteilt, viel, sehr viel Frauenpower erforderlich, die zur Verbesserung der Situation von Frauen, zur Gewährung und Stärkung von Frauenrechten und Freiheiten geführt hat. Viel Frauenpower! Aber nur wenigen Frauen ist es gelungen, an die Schaltstellen der Macht in Wirtschaft oder Politik vorzudringen: Dr. Elisabeth Schwarzhaupt, Annemarie Renger, Heide Simonis, Angela Merkel oder Vera Rüdiger sind Frauen, die eins verbindet: Sie alle waren die Ersten, die eine der absoluten Toppositionen in der Politik erreicht haben.
Die erste Bundesministerin der BR Deutschland, die erste Bundestagspräsidentin, die erste Ministerpräsidentin eines Bundeslandes, die erste Bundeskanzlerin und die erste hessische Staatssekretärin und danach sogar erste hessische Ministerin.

Politische Powerfrauen, die es in einer patriarchali-schen Welt in politische Spitzenpositionen „geschafft“ haben. In der Wirtschaft sieht es jedoch immer noch düster aus. Auf die erste BDI-Präsidentin oder die erste Bundesbank-Chefin müssen wir jedoch wohl noch ein paar Jährchen warten! Das ist wirklich nicht zu fassen! Unglaublich! Finnland, Norwegen, Frankreich machen uns vor, was heute längst überfällig ist!
Trotz aller Fortschritte trifft nämlich auch heute immer noch der Satz für Frauen in Führungspositionen zu, der besagt, dass die Luft an der Spitze für sie extrem dünn ist und dass es "gläserne Decken" für sie gibt und zwar unabhängig davon, wie super sie ausgebildet sind, oder ob sie nun Kinder haben, oder nicht! Und wenn es nach dem Willen dieser Bundesregierung und Bundeskanzlerin geht, so können wir davon ausgehen, dass das auch so bleiben soll.
Das zeigte sich gerade wieder in der Debatte um die Frauenquote in der Wirtschaft. Selbst Frau von der Leyen hatte einen deutlichen Erkenntnisgewinn in dieser Frage. Gebetsmühlenartig wiederholt jedoch die sogenannte Frauenministerin, dass Frauen es auch ohne Quote schaffen. Wer mit müdem Lächeln eine Flexi-Quote präsentiert und frühestens 2013 eine „Pflicht zur Selbstverpflichtung“ gesetzlich vorschreiben will, blendet die Realität, blendet den Alltag von Millionen Frauen völlig aus.

Die Kuschelpolitik dieser Frauenministerin – gerade sie ist ja der Inbegriff einer dreifachen Quote: jung, Frau und aus Hessen…- mag in manchen männerlastigen Managerkreisen gut ankommen, beim Gros der (berufstätigen) Frauen kann sie damit nicht punkten! Der Weg zu wirklicher, faktischer Gleichstellung und Gleichberechtigung ist noch weit. Auf diesem Weg sind wir zwar ein gutes Stück vorangekommen, ja, aber eben nur „ein bisschen weiter“ … ! Marie Juchacz, die erste Frau und Sozialdemokratin, die vor einem deutschen Parlament eine Rede hielt, sagte damals: „Ich möchte hier feststellen und glaube damit im Einverständnis vieler zu sprechen, dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“

Sie alle wissen, wovon sie hier redete: es ging um das Frauenwahlrecht. Damit begann auch die Geschichte des Internationalen Frauentages, dem die Entscheidung der Kopenhagener Frauenkonferenz 1910 vorausging, neben dem 1. Mai einen eigenen Kampf- und Forderungstag für Frauen jährlich einzuführen.

„Heraus mit dem Frauenwahlrecht“ war 1911 das allererste Motto. Doch die Ziele, für die Frauen, insbesondere Sozialdemokratinnen, in den nun schon zehn Jahrzehnten auf die Straßen zogen und für die wir heute zunehmend „indoor“ in Form von Feiern oder mit Aktionen streiten, haben sich im Laufe der Zeit gewandelt:

In der Weimarer Republik war der legale Schwanger-schaftsabbruch ein zentrales Thema, ebenso wie der Schwangeren-und Mutterschutz, denn im Zuge der Wirtschaftskrise stieg die Zahl der Abtreibungen, oft (zu oft) auch mit tödlichem Ausgang, rapide an. „Gegen Naziterror und Krieg, für Sozialismus und Frieden" hieß die Losung der zentralen Kundgebung, die die Sozialdemokratinnen 1931 anlässlich des dann für viele Jahre letzten Frauentages durchführten. Danach wurde der Tag von den Nationalsozialisten (1932) verboten und die Mutterkreuz-Ideologie „installiert“, die bis heute unsere Gesellschaft beeinflusst. Die drei K´s sind bis heute nur schwer aus den Köpfen zu kriegen …

Bei den Powerfrauen der Nachkriegszeit, den Trümmerfrauen, die vor allem mit Alltagssorgen zu kämpfen hatten, trat der Frauentag zunächst in den Hintergrund. Zwar wurde der 8. März ab 1946 in der DDR hochoffiziell als „Kampf- und Ehrentag aller fortschrittlichen Frauen“ begangen – allerdings nur mit Nelken für die Damen. Im Westen dagegen wurde der Tag erst 1948 wiederbelebt, wenngleich er noch längere Zeit hinter seiner einstigen Bedeutung zurückblieb. Was aber nicht gleichbedeutend mit frauenpolitischem Stillstand war. Ganz im Gegenteil! Wieder waren es Powerfrauen, die die Gleichstellung und Gleichberechtigung politisch vorantrieben. Allen voran Elisabeth Selbert, Mutter oder eine der (vier) Mütter des Grundgesetzes und Kämpferin für die Gleichberechtigung der Frau, deren Tochter Susanne, selbst politisch aktiv als hauptamtliche Kreisbeigeordnete, ich heute hier herzlich begrüße.

Mit dem Engagement der neuen autonomen Frauenbewegung Ende der 60er Jahre rückte der 8. März dann wieder stärker ins Bewusstsein, nahmen die Aktionen wieder zu. Es folgten Jahre, in denen es um den Paragraphen § 218, um reale statt nur formale Gleichberechtigung, um Gewalt gegen Frauen, um Frieden, Abrüstung und den Erhalt der Umwelt ging. 1975 – dem „Jahr der Frau“ – richteten die Vereinten Nationen erstmals am 8. März eine Feier anlässlich des Frauentages aus und erst 1977 beschloss die Generalversammlung der UN, das Datum als Internationalen Frauentag anzuerkennen. Schritt für Schritt ging es immer ein bisschen weiter …

An das Motto 1985 „Wir wollen Brot und Rosen“ wird sich sicher die eine oder andere, die heute hier ist, noch gut erinnern. Brot, das unter anderem für das Recht auf Arbeit mit gerechtem Lohn, gleiche Ausbildungschancen und eine eigene soziale Absicherung für Frauen stand und die Rose oder Rosen, die überreicht wurden, symbolisch für Toleranz, Frieden und die Möglichkeit, gleichzeitig Mutter und berufstätig zu sein.

1994 folgte mit dem Aufruf zum „FrauenStreikTag“ die letzte große Aktion im öffentlichen Raum in Deutschland aus Protest gegen das frauenpolitische Rollback seit der Wiedervereinigung und auf die Ungleichbehandlung und Diskriminierung aufmerksam zu machen. Danach ebbten zumindest die Straßenproteste ab.

In Deutschland mahnte Ver.di 2008 unter dem Motto „Frauen verdienen mehr“ Mindestlöhne und Lohnungleichheit an, wobei letztere inzwischen jedes Jahr am 25. März, dem Equal-Pay-Day, noch einmal besonders begangen wird. Und das ist gut!

Im letzten Jahr stand der Frauentag international unter dem Motto: „Gleiche Rechte, gleiche Chancen: Fortschritt für alle“, um etwas gegen die immer noch vorherrschenden Vorurteile zu unternehmen, die Frauen den Zugang zur Arbeitswelt und in die Führungsetagen erschweren. Denn während in vielen unterentwickelten Ländern Mädchen und Frauen lieber in der Küche als in der Schule gesehen werden, sind sie bei uns (offenbar) noch immer lieber im Vorzimmer als im Chefsessel gesehen. "Entwickelte Länder" sind hier – wie so oft vor allem die skandinavischen Länder! Einige der jahrzehntelangen Forderungen der Frauen wie das Frauenwahlrecht, der Mutter- und Kinderschutz, der legale Schwangerschaftsabbruch stehen heute auf der Habenseite. Andere, wie die nach Frieden, nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit, nach Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnkürzung, nach Einführung gesetzlicher Mindestlöhne, nach verbindlichen Regeln zur Gleichstellung in der Wirtschaft, nach Überwindung traditioneller Rollenmuster, nach Ganztagsbetreuung für Kinder uvm. sind nach wie vor aktuell.

Und deshalb ist das diesjährige Motto „Heute für morgen ein Zeichen setzen“, das zunächst einmal sehr abstrakt klingt, ein gutes Motto. Denn Gleichstellung ist keine Aufgabe für bessere Zeiten, die wir in eine Schublade ablegen können und herausnehmen, wenn es passender erscheint. Sondern es ist eine Aufgabe für jetzt, sofort und (für) alle Zeiten.

Der Kampf um Gleichstellung und Gleichberechtigung ist noch lange nicht zu Ende. Das Frauenwahlrecht wurde uns nicht geschenkt, sondern musste von mutigen Vorkämpferinnen hart(näckig) erkämpft werden.

Nur durch eine breite außerparlamentarische Frauenbewegung konnten Frauen ihr Wahlrecht, den Zugang zur Bildung oder das Recht eine Berufstätigkeit aufzunehmen, ohne Genehmigung eines Ehemannes erstreiten. Heute haben wir die bestausgebildetste Frauengeneration aller Zeiten, doch Realität ist, dass es spätestens mit dem ersten Kind mit der Gleich-berechtigung zu Ende ist. Wir haben ein Grundgesetz, das die rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern garantiert und darüber hinaus in Art. 3 Abs. 2 die Durchsetzung der Gleichberechtigung und die Beseitigung bestehender Nachteile zur staatlichen Aufgabe macht. Doch die Realität ist, dass auch das allein noch keine tatsächliche Gleichstellung bringt.

Wir haben ein Hessisches Gleichberechtigungs-gesetz, das einheitliches Recht für den öffentlichen Dienst des Landes schaffen soll und die grundlegenden Regelungen für eine aktive Frauenförderung und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie zusammenfasst. Doch die Realität ist und das zeigt auch der erst kürzlich hier im Landtag diskutierte Gleichstellungs-bericht der Landesregierung, von einer Verwirklichung gleicher Chancen kann nicht die Rede sein. Viel ist dank der Weichenstellung von Gesetzen und Diskriminierungsverboten erreicht. Doch in der Realität leben wir „nicht in einem feministischen Paradies, noch nicht einmal in einer geschlechter-gerechten Gesellschaft.“ Dieses Zitat von Mithu Melanie Sanyal – Kulturwissenschaftlerin und Journalistin, Jg. 1971, deren Namen ich – auch wenn es sich nicht um eine Doktorarbeit handelt- selbstverständlich nenne, erfasst sehr zutreffend, wo wir heute stehen.

Deshalb bin ich überzeugt, dass jeder noch so kleine Fortschritt erkämpft werden muss, dass wir am 8. März solange festhalten müssen, bis wir das „Paradies“ gleicher Chancen und gleicher Rechte erreicht haben. Den Frauen wurde in der Vergangenheit nichts geschenkt und es wird ihnen auch in Zukunft nichts geschenkt. Sie haben es sich erkämpfen und erarbeiten müssen, das gilt für das Frauenwahlrecht wie den Paragraph 218 und für vieles mehr! Wer sich mit dem Status Quo zufrieden gibt, lediglich minimale Korrekturen noch dazu behutsam anmahnt, statt zu fordern, was Frauen zu Unrecht vorenthalten wird, der dient den Männerseilschaften mehr als der Sache der Frauen. Keinesfalls können wir uns so duckmäuserisch verhalten, wie es derzeit auf Bundes- und oft auf Landesebene der Fall ist.

Progressiv denkende Bundesministerinnen werden zurückgepfiffen und konservative Ministerinnen können ungestört den gleichstellungspolitischen Fortschritt aufhalten, um das „starke“ Geschlecht zu besänftigen. Ich frage mich: Ist das der Trick der neuen Frauengeneration, um Männerdomänen und Spitzenpositionen zu erobern? Oder ist die „Generation Kohl“ einfach nur blind für die Realität(en)?

Klar, sie sind aufgewachsen in einer Zeit, in der traditionsverhaftete Rollenklischees, Warnungen vor Feministinnen und Emanzen in CDU/CSU vorherrschend waren. Sie haben eine Kanzlerschaft erlebt, in der Selbstgerechtigkeit und Machterhalt das Wichtigste war, wo Fehler stets bei anderen gesucht und vor allem im linken politischen Lager gefunden wurden. Und wo starke Frauen vor allem im Hintergrund wirkten.

Ich bin absolut keine Freundin der Herdprämie, aber wenn die Frauenministerin als erste davon Gebrauch machen würde, könnte ich mich durchaus noch damit anfreunden.

Abschließend möchte ich noch einmal auf Marie Juchacz zurückkommen, die von Selbstverständlichkeit sprach, als es um das Frauenwahlrecht ging. Heute ist es eine Selbstverständlichkeit für Männer wie Frauen, dass Frauen wählen und gewählt werden. Das gilt leider noch nicht für die Gleichstellung von Frauen und Männern. Sie ist heute noch lange keine Selbstverständlichkeit! Auch wenn sie von uns allen anerkannt wird, wird sie noch immer nicht von allen gelebt!

Insofern: 100 Jahre und doch nur ein bisschen weiter – leider!

Deshalb bin ich überzeugt davon, dass nur mit viel Frauenpower und vielen Powerfrauen das Ziel einer wirklich gleichberechtigten Gesellschaft erreicht werden kann! Viele Powerfrauen sind hier – machen wir der Schnecke Fortschritt endlich Beine!!!