
Im Folgenden dokumentieren wir den Redebeitrag des Vizepräsidenten des Hessischen Landtags, Lothar Quanz, anlässlich der Plenardebatte zu 20 Jahre Deutsche Einheit:
Wir dürfen uns in dieser Stunde erinnern an ein geschichtlich einmaliges glückliches Ereignis, eine friedliche und letztlich erfolgreiche Revolution. 20 Jahre Deutsche Einheit sind den Deutschen nicht in den Schoß gefallen, es bedurfte vieler Anstrengungen, wichtiger politischer Weichenstellungen, aber letztlich waren es Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR, die mit der Bürgerrechtsbewegung dafür sorgten, dass ein marodes totalitäres System abgeschafft wurde.
Deshalb muss es bei den Feierlichkeiten im Andenken an dieses Datum zu allererst darum gehen, der Menschen zu gedenken, die mit ihrer Haltung, mit dem Mut zum aufrechten Gang, mit dem Mut Rückgrat zu zeigen, als es noch zerbrochen werden konnte, die die Stirn boten, als Kopf und Kragen noch riskiert wurden, schließlich Mauer und Stacheldraht durchbrachen. Wir gedenken der Menschen, die mit ihren Kerzen voran gingen, die skandierten Wir sind ein Volk, die den Weg für die Einheit ebneten.
Es bedurfte vieler glücklicher Umstände und besonders kluger politischer Weitsicht, insbesondere sei Michael Gorbatschow genannt, der letztlich die politische Entwicklung zuließ und der maßgeblich dafür verantwortlich war, dass die Macht der Kerzen über die Macht der Gewehre siegen konnte.
Wir erinnern aber auch daran, dass die Mauer zuvor löchrig wurde, dass Fenster in diese Mauer gestemmt worden waren durch eine kluge Politik der Regierungen Brandt/Scheel und anschließend Schmidt/Genscher, die den KSZE-Prozess förderten, so dass auf diese Art und Weise Frieden und Verständigung auf neue Grundlagen gestellt wurden. Dies waren Voraussetzungen auch dafür, dass sich insbesondere die Bürgerrechtsbewegungen und andere Initiativen in den Staaten des Warschauer Paktes auf die Menschenrechtsakte von Helsinki berufen konnten. Ohne die Solidarnosc in Polen, ohne die Charta 77 um Václav Havel in Prag, ganz besonders aber ohne Perestroika und Glasnost hätte sich auch die Bürgerrechtsbewegung in der DDR wahrscheinlich so nicht organisieren und letztlich den Erfolg herbeiführen können.
Deshalb gehört es zum umfassenden und objektiven Verständnis der Entwicklung, dass man auch auf diese politischen Weichenstellungen und die daraus folgenden freiheitlichen und demokratischen Entwicklungen im Warschauer Pakt hinweisen muss. Und es gehört zu den großen Fehlern in der Geschichte der CDU, dass sie diesen Prozess ablehnte und gegen die Schlussakte von Helsinki stimmte.
Um jeder Fehlinterpretation zuvorzukommen: Die DDR war ein Unrechtsstaat ohne Wenn und Aber. Ein Staat, der grundlegende Menschenrechte vorenthielt, der grundlegende Freiheiten nicht gewährte, kann nicht relativierend als in Teilen vielleicht doch rechtstaatlich genannt werden. Allen Verharmlosungsversuchen treten wir entschlossen entgegen! Es muss völlig unumstritten sein, dass Demokratie, Freiheit und Rechtstaatlichkeit durch einen wehrhaften Staat und eine wertbewusste Zivilgesellschaft dauerhaft gesichert werden. Allem politischen Extremismus ist eine klare Absage zu erteilen, und es heißt aufpassen, dass an den Rändern nichts ausfranst, egal ob rechts oder links. Und ein weiteres: Wir dürfen nicht zulassen, wenn Entwicklungen im Gange sind, die das Vertrauen in demokratische und rechtstaatliche Institutionen erschüttern.
In einer Gesellschaft, die sich immer mehr spaltet, in der der Anteil der Verlierer deutlich zunimmt, in der sich immer mehr Menschen ausgegrenzt fühlen, wo eine soziale Schieflage entsteht, die Menschen ausschließt, die Freiheiten und Verantwortungen wegen fehlender materieller und sozialer Grundlagen gar nicht wahrnehmen können, zweifeln immer mehr Menschen an der Gerechtigkeit, an der Legitimation des Staates, auch dort sind Freiheit und Demokratie gefährdet.
Wenn bei der Hypo Real-Estate der Staat mit Milliarden Steuergeldern eingreifen muss, um die Bank überhaupt überleben zu lassen und sich im gleichen Atemzug Manager 25 Millionen Euro Boni auszahlen lassen, dann gefährdet das massiv die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in wesentliche freiheitliche Einrichtungen, da reicht es nicht mehr über Wirtschaftsethik zu philosophieren, da bedarf es klarer politischer Verantwortung durch die Bundesregierung.
Und noch einmal geht um es gefährdete Freiheit: Wir brauchen eine Erinnerungskultur, wir brauchen eine objektive und umfassende Darstellung dessen, was in der DDR Grundlage des totalitären Systems war. Deshalb sind unsere Gedenkstätten Schifflersgrund und Point Alpha so wichtig und müssen finanziell auch entsprechend ausgestattet werden, damit sie ihren Bildungsauftrag erfüllen können. Allerdings muss dazu kommen, dass an dieser Stelle nicht nur die Landeszentrale für politische Bildung gefordert ist, sondern für mich ist dies Teil einer umfassenden politischen Bildung. Dieses Kapitel der deutschen Geschichte gehört selbstverständlich in die Curricula in allen Schulen. Nur wer seine Geschichte kennt, kann auch die richtigen Lehren daraus ziehen.
Das heißt aber auch, dass parteiliche Einflussnahme auf Geschichtsschreibung unterbleiben muss, dass eine einseitige Darstellung eben nicht ein umfassendes und objektives Bild liefert. Deshalb ist es schon ärgerlich, dass die CDU meint, einen Premiumanteil an diesem Prozess der deutschen Einigung zu haben. Es war eher peinlich und stellt erneut die Glaubwürdigkeit der Politik in Frage, wenn Franz Josef Jung sich feiern lassen möchte als eine der großen Gestalten der deutschen Wiedervereinigung.
Was mich am meisten daran ärgert ist, dass dabei der Anteil der Bürgerrechtler relativiert wird, das werden wir niemals zulassen! Es waren die Menschen in Leipzig und den anderen Städten, die den Prozess herbeigeführt und erfolgreich haben werden lassen. Das schmälert nicht die Leistungen und die großartigen Unterstützungen vieler westdeutscher Politiker beim Aufbau demokratischer Strukturen in den neuen Ländern. Aber die Relation in der geschichtlichen Bewertung muss stimmen! Ein wenig mehr Bescheidenheit würde der politischen Glaubwürdigkeit insgesamt und der Union im Besonderen an dieser Stelle dienlich sein!
Und gerade auch deshalb ist es für die Glaubwürdigkeit unendlich wichtig, dass eben nicht nur die Rolle der SED beleuchtet wird, sondern selbstverständlich auch die Rolle der Blockparteien. Da hat sich niemand nicht schuldig gemacht, da waren alle in unterschiedlicher Qualität beteiligt mit ihren Beiträgen zur Stabilisierung des Systems.
Nur wer umfassend und objektiv wirklich Aufklärung betreibt, kann seinen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass Extremismus in Deutschland keine Chance hat, egal ob von rechts oder von links. Das müsste zumindest auch in dieser Stunde alle Demokraten in diesem Hause einen.
Ich möchte schließen und erinnern an ein Motto von Martin Luther King, der sagte: Es ist besser, Frieden zu wahren, als Frieden zu schließen und als Analogie dazu würde ich sagen: Es ist besser, die Freiheit zu bewahren, als die Freiheit erkämpfen zu müssen.
Mögen viele erfolgreiche glückliche Jahre für uns Deutsche vor uns liegen, damit wir uns auch in fünf Jahren und in fünfzig Jahren erneut erinnern dürfen an ein glückliches, an ein wunderbares Kapitel der deutschen Geschichte, welches 1989/1990 geschrieben wurde.
Erzählen wir diese Geschichte immer wieder unseren Kindern und Enkeln!