Andrea Ypsilanti (SPD): Abschaffung der Studiengebühren ist Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit

Herr Koch, bei der Abschaffung der Studiengebühren geht es um Gerechtigkeit. Ich weiß, die Vokabel Gerechtigkeit fristet in Ihrem Wortschatz ein Schattendasein. Gerechtigkeit kommt bei Ihnen vor allem in Form von Selbstgerechtigkeit vor, wie das beispiellose Schauspiel um den Einspruch der Landesregierung gegen die Abschaffung der Studiengebühren gezeigt hat.
Was wir zu Recht erwarten können ist, dass Ihr Wort, das Sie dem Landtag hier am 5. April gegeben haben, etwas gilt. Ich zitiere Sie aus dem Protokoll der konstituierenden Sitzung:
„Es geht auch um eine neue Form des Regierens und eine neue Form des Kooperierens zwischen erster und zweiter Gewalt im Staat; denn die Mehrheitsverhältnisse in diesem Hause erfordern das. Wir reden über einen Regierungsstil, der nach meiner Vorstellung von offenen Türen geprägt, transparent für die Öffentlichkeit und einladend für alle ist, die mitwirken wollen (…)“
„(…) keiner hat die Option der Obstruktion. Das wäre im Interesse unseres Landes sicher unverantwortlich.“
„Die geschäftsführende Regierung, der ich vorstehe, sieht sich in dieser Stunde als Partner des Parlaments. Wir bekennen uns in vollem Umfang zu unseren Loyalitätspflichten gegenüber diesem Hause. (…) Das heißt, dass sich die Arbeit dieser Regierung und der ihr unterstellten Verwaltungsapparate dieser neuen Begebenheit anzupassen hat.“
Tatsächlich haben Sie sich selbst die Haltung zu eigen gemacht, die Sie zu Beginn der Legislaturperiode anderen unterstellt haben, nämlich reine Obstruktion gemäß dem Zitat des Fußballers Rolf Rüssmann: „Wenn wir hier nicht gewinnen, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt.“ Herr Rüssmann hat das Zitat bekanntlich gar nicht so gemeint, aber Sie handeln im Stile Ihrer eigenen Auslegung.
Sie haben einen Machtkampf mit dem Parlament gesucht. Der Machtkampf mit dem Parlament ist nicht vorgesehen in der Hessischen Verfassung, auch nicht für eine geschäftsführende Landesregierung. Auch bei einem geschäftsführenden Ministerpräsidenten gilt der Amtseid fort und damit haben Sie sich zu einer Amtsführung verpflichtet, die „unparteiisch“ ist und „im demokratischen Geiste“ erfolgt. Dem „demokratischen Geist“ entspricht es nicht, wenn eine Regierung das Parlament brüskiert, um einen kleinen parteitaktischen Vorteil zu erzielen.
Und Herr Koch, Sie gewinnen nicht beim Thema Studiengebühren. Sie habe es geschafft, eine weitere Lesung herbeizuführen. Aber was haben Sie damit erreicht? Sie bestätigen Ihr altes Image und am Ende werden die Studiengebühren doch abgeschafft. Ja, Sie haben es nicht einmal geschafft, uns die Laune zu verderben. Im Gegenteil, Sie haben nur Ihrer eigenen Truppe die Laune verdorben.
Unbestreitbar hat es bei der Vorlage des Änderungsantrags einen Fehler gegeben. Eine ausgesprochen ärgerliche Panne. Aber eine Panne, wie sie bei komplexen Gesetzgebungsvorhaben immer wieder vorkommt. Herr Koch, Sie selbst haben oft genug solche Pannen zu verantworten gehabt, dann musste die CDU-Fraktion einen von Ihrer Regierung geschriebenen Antrag einbringen, um das zu korrigieren.
Ein solcher Fehler soll nicht vorkommen, aber er kommt vor. Und er ist etwas anderes, als die schweren Fehler, die Sie sehenden Auges in der Vergangenheit begangen haben. Der relevante Fehler war doch die Einführung von Studiengebühren. Das war ein Fehler, für den Sie von den Wählerinnen und Wählern die Quittung erhalten haben.
Auch gegen Ihr Studiengebührengesetz gab es begründete verfassungsrechtliche Zweifel. Die sind durch das Urteil des Staatsgerichtshofes auch nicht ausgeräumt, denn eine große Minderheit der Richterinnen und Richter hat diese Zweifel bestätigt. Wir respektieren das Urteil des Staatsgerichtshofs. Aber dass eine Minderheit der Richter feststellt, mit der Entscheidung der Mehrheit werde die Verfassung geradezu in ihr Gegenteil verkehrt, ist schon von besonderer Bedeutung. Und es ist einleuchtend, wenn fünf Richter in ihrem Minderheitsvotum im Hinblick auf die Studienkredite nüchtern feststellen, ich zitiere: „ Wenn in der Hessischen Verfassung steht ‚Der Unterricht ist unentgeltlich’, dann bedeutet das ‚Es kostet nichts’ und nicht ‚Du kannst es später abzahlen’.“
Herr Koch, wir haben versucht, Ihr Angebot einer konstruktiven Zusammenarbeit bei allen getrennten Rollen ernst zu nehmen. Heute müssen wir feststellen: Sie nehmen sich selbst nicht ernst. Das bestärkt uns in der Haltung, hier im Parlament konsequent den Politikwechsel in Hessen voranzutreiben.
Heute schaffen wir die Studiengebühren ab. Egal ob es Ihnen passt, oder nicht. Das ist ein guter Tag für die Bildungsgerechtigkeit in Hessen. Das allein zählt.“