Petra Fuhrmann (SPD): Wir wollen eine Arbeitsmarktpolitik für alle

<em>„Das Bundesministerium für Arbeit vertritt die Auffassung, dass im Rahmen des § 16 Absatz 2 Satz 1 SGB II nur solche Eingliederungsleistungen erbracht werden sollen, die im Einzelfall erforderlich sind, um die Leistungen des SGB III zu ergänzen und zu unterstützen. Ich teile diese Haltung nicht. Es hat die Arbeitsagenturen (im April) mit der Geschäftsanweisung Nr. 13/2008 angewiesen, ab sofort lediglich ergänzende Einzelfallhilfen für eine unmittelbare Arbeitsmarktintegration oder Existenzgründung zu gewähren. Trotz guter Intention, die teilweise rechtswidrige bzw. unzulässige Förderpraxis in Kommunen zu beenden, ist diese Anweisung zu Recht auf viel Kritik gestoßen. Es kann nicht sein, dass durch Umgehung oder Aufstockung von Regelinstrumenten gefördert wird, was eigentlich aus anderen Töpfen gefördert werden könnte oder müsste. Es kann aber auch nicht sein, dass notwendige, wirksame und wirtschaftlich sinnvolle Maßnahmen mit einem Schlag beendet werden müssen. Zumal es hier vor allem um Menschen mit multiplen Vermittlungshemmnissen geht!</em>

<em>Fakt ist, der Paragraph über die „weiteren Leistungen“ ist keineswegs ein glasklarer, geschweige denn ein unstrittiger. Seit Ende letzten Jahres gibt es die Kontroverse über die Anwendung des Paragraphen. Weder zwischen Bund noch Ländern, noch in der Kommentierung oder einschlägigen Rechtsprechung gibt es eine einheitliche Rechtsauffassung, was unter diesem Begriff zu verstehen ist.</em>

<em>Während die Bundesländer die Auffassung vertreten, dass es sich bei Paragraph 16 (2) quasi um eine „Generalklausel“ handelt, die den zugelassenen kommunalen Trägern und ARGEN grundsätzlich ermöglicht nach freiem Ermessen über Eingliederungsmaßnahmen zu entscheiden, nimmt der Bund eine restriktive Haltung ein und bezieht sich dabei auf einen Bericht des Bundesrechnungshofes.</em>

<em>Der Bundesrechnungshof stellte fest: „Die Mehrzahl der geprüften Grundsicherungsstellen gewährte auch weitere Leistungen, die keine innovativen Förderansätze enthielten, sondern lediglich die Voraussetzungen oder den Förderumfang arbeitsmarktpolitischer Regelinstrumente des Arbeitsförderungsrechts in unzulässiger Weise abwandelten.“ </em>

<em>Als Beispiele nannte er die Gewährung von befristeten Lohnkostenzuschüssen, ohne die Beschäftigungszeit festzulegen (Umgehung von SGB III) oder die Berufsbildung Jugendlicher in außerbetrieblichen Einrichtungen. Leider ist die Anweisung in der jetzigen Form kein Beitrag zur Herstellung von Rechtssicherheit und zu einer positiven Weiterentwicklung der Förderung im SGB II. Sie gefährdet vielmehr massiv die Qualität der Integrationsförderung und eine wirtschaftliche Verwendung der Eingliederungsmittel! Aus der Praxis wissen wir, dass § 16 Abs. 2 sehr stark genutzt wurde – viel stärker als manches BA-Instrument, weil es die Möglichkeit bot, die besonderen Problemlagen der Betroffenen in überaus vielfältigen Lebenslagen aufzugreifen und die besonderen Bedarfe des Förderns und Forderns von Migranten, Frauen, Langzeitarbeitslosen, benachteiligten Jugendlichen und Menschen zu erfüllen. Als Beispiel verweise ich auf die intensive sozialpädagogische Betreuung oder die Nachbetreuung bei der Arbeitsaufnahme, für die es lange kein und jetzt auch nur ein – nach Ansicht vieler Träger – nicht ausreichendes Instrument im SGB II gab bzw. gibt. Und die SGB III Instrumente sind für die Zielgruppen oft unpassend – von „der Stange“ und eben nicht an die Problemlagen angepasst.</em>
<em>Kurzum: § 16 war ist der rettende Strohhalm für viele schwierige und oft fast aussichtslose Fälle! Der BMAS bzw. BA-Vorschlag der Aneinanderreihung oder Kombination von SGB III Regelinstrumenten ist in vielen Fällen – das sagen zumindest die Praktiker – nicht praktikabel und nicht zielführend. Hinzukommt, dass die Regelleistungen des SGB III nur in einem Teil der Fälle überhaupt mit den Hilfeleistungen von § 16, 17 und 18 SGB II kompatibel sind. Etwa für die Förderung von Erwerbstätigen sind lediglich Zuschüsse zur Verbesserung des Qualifizierungsniveaus möglich, persönliche Hilfen gibt es im SGB III nicht. Erwerbstätige mit Niedrigeinkommen oder so genannte Aufstocker stellen aber eine große und immer größer werdende Gruppe da.</em>

<em>Generell sehe ich die Trennung der Regelkreise SGB II und SGB III insbesondere für die SGB II-Geförderten als problematisch an. Es bleibt zu hoffen, dass mit der für 2009 geplante Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente auch die Leistungen zur Eingliederung in dieser Hinsicht klarer geregelt werden. Die Intention von SGB II ist eben nicht ausschließlich auf die direkte Integration in Arbeit beschränkt. SGB II nimmt darüber hinaus auf die personen- und gruppenbezogenen Problemlagen Bezug und soll Hilfen zur Verminderung oder Beseitigung dieser bieten. Insbesondere dort, wo die Integrationsplanung in sehr kleinteiligen Schritten erfolgen muss und die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Hilfeeinrichtungen und Kooperationspartnern erforderlich ist, insbesondere dafür ist ein flexibel nutzbarer Spielraum zum Einsatz „weiterer Leistungen“ unverzichtbar. Eben ein guter Instrumentenkasten. Deshalb vertrete ich die Ansicht, breite Spielräume zu lassen statt enge Grenzen zu ziehen! Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag eine Reform des SGB verabredet, deren Inkrafttreten zum 1.1.2009 geplant ist und in der u.a. auch die Neuordnung der Leistungen zur Eingliederung (§ 16 SGB II) vorgesehen ist. Geplant ist z.B. (laut Eckpunktepapier vom 9.4.08):</em>

<em>1.)               </em><em>Die Einführung eines Rechtsanspruchs auf das Nachholen des Hauptschulabschlusses.</em>
<em>2.)               </em><em>Die Einführung eines Vermittlungsbudgets, das den persönlichen Ansprechpartnern ein weites Spektrum für flexible, bedarfsgerechte und unbürokratische Einzelfallhilfen eröffnet.</em>
<em>3.)               </em><em>Ein Experimentiertopf zur Erprobung lokaler und zeitlich begrenzter innovativer Projekte.</em>
<em>4.)               </em><em>Personen mit Migrationshintergrund stärker als bislang Förderung durch Sprachkurse erhalten.</em>

<em>Angesichts dieser Reformpläne fragt man sich erst recht: Was soll die Geschäftsanweisung? Mit dem neuen Gesetz wird voraussichtlich genau das ermöglicht, was jetzt zum 30. Juni mit der Einschränkung des § 16 (2) beendet werden soll. Das ist völlig kontraproduktiv!</em>
<em>Auch deshalb plädiere ich dafür, die Geschäftsanweisung zurückzunehmen und die Fortsetzung der nach § 16 geförderten Maßnahmen über den 30.06. hinaus zu ermöglichen. Es sollte zumindest solange, bis das neue Gesetz umgesetzt wird, festgehalten werden an:</em>
<em>- Projektförderung,</em>
<em>- Hauptschulabschlusskursen,</em>
<em>- Produktionsschulen, </em>
<em>- Sprachkursen für Migrantinnen und Migranten.</em>

<em>Es muss erhalten bleiben, was für die Zielgruppen zum Erfolg geführt hat – auch wenn die Mittel dafür vielleicht nicht ins Schema passten. Wir müssen alle Gelder in der Arbeitsförderung sinnvoll einsetzen. Und das Geld ist sinnvoll angelegt, wenn 42 von 45 Teilnehmern eines nach § 16 (2) geförderten Kurses ihren Hauptsschulabschluss schaffen! (Bsp. Lehrerkooperative, Frankfurt. Es ist ärgerlich, wenn jetzt die in über drei Jahren erworbenen Erfahrungen konterkariert werden. Wenn wir sinnvolle und wirksame Arbeitsförderung machen wollen, müssen wir dafür sorgen, dass diese Erfahrungen für die Zukunft erhalten bleiben und weiterentwickelt werden.</em>

<em>Ich halte für die SPD fest:</em>
·        <em>der Mensch steht für uns im Mittelpunkt</em>
·        <em>wirksame Maßnahmen sind zielgruppen-orientiert und flexibel, greifen multiple Vermittlungshemmnisse auf und bieten vielschichtige Hilfsangebote (maßgeschneidert)</em>
·        <em>Hilfen aus einer Hand</em>

<em>Wir wollen eine Arbeitsmarktpolitik für Alle, für jede Zielgruppe und das heißt dann auch, dass die Leistungen und Integrationsprozesse passgenau, flexibel, angepasst an die individuelle Situation der Betroffenen und die regionalen Besonderheiten erfolgen müssen</em>
<em>Wir brauchen bundeseinheitliche Standards und dezentrale Gestaltungsspielräume.</em>
<em>Ich würde mir wünschen, dass die laufende Neuordnung eine breite Flexibilität der Fördermaßnahmen in den Kommunen ermöglicht, dass die Trennung der Rechtskreise SGB II und III überwunden, dass der Paragraphendschungel gelichtet und für die Arbeitssuchenden passgenaue Angebote vorhanden sind.“</em>