Habermann sagte weiter: Es darf nicht zu einem politisch verursachten Reformchaos kommen, stellten Sie in Ihrer Regierungserklärung fest. Ich stimme mit Ihnen vollständig überein, was diese Forderung betrifft. Nur in einem Punkt würde ich ihn verändern: im Tempus. Es gibt immer noch zu viele Baustellen und viele Sackgassen durchziehen die hessische Bildungslandschaft. Geblieben ist eine Fülle von Verordnungen, Erlassen, Zielvereinbarungen und Datenverarbeitungssystemen, die Schulen an ihrer zentralen Aufgabe mehr hindern als fördern. Und geblieben ist ein Schulgesetz, das ungeeignet ist, den Anspruch auf ein gutes und zukunftsfähiges Schulsystem zu erfüllen.
Deshalb ist es richtig, dass überstürzte Initiativen der falsche Weg sind, um das Reformchaos der Vergangenheit zu beseitigen. Genauso richtig ist es aber, den Schulen das Signal zu geben, dass sich etwas ändern muss und etwas ändern wird. Nichts anderes tut die SPD-Fraktion mit ihren Initiativen. Es sind kleine Schritte, aber sie zeigen, wohin für uns der Weg der Bildungspolitik gehen muss:
Schule braucht die Freiheit, die Ressourcen und die Verantwortlichkeit, die besten Chancen für alle Schüler und Schülerinnen zu bieten. Und nicht die Schülerinnen und Schüler müssen sich an Schule anpassen, sondern Schule muss Lern- und Lehrbedingungen bieten können, die am einzelnen Kind, an seinen Begabungen, an seine persönliche Entwicklung und auch an sein Lerntempo angepasst werden können.
Unser größtes bildungspolitisches Defizit in Hessen ist weiterhin, dass viel zu viele Kinder zurückgelassen und aussortiert werden und scheitern. Daran ändert auch in der G8-lastigen Regierungserklärung des Kultusministers das erneute Beschwören der Hauptschulabschlussquoten nichts. Weil wir Sozialdemokraten uns nicht damit abfinden, dass vorhandene Begabungen verschüttet werden durch eine rückwärts gewandte Bildungspolitik, die nicht die Kraft hat, aus den internationalen Vergleichsstudien die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, brauchen wir zunächst eine Orientierung an den kleinen Schritten. Und wir brauchen den Willen, im Austausch mit Eltern, Lehrern und Schüler und unter Berücksichtigung ihrer Interessen als Land ein schlüssiges Gesamtkonzept zu entwickeln.
Ich erinnere daran, Herr Kultusminister, dass das gültige Schulgesetz auf den 31.12.2009 befristet ist. Wann, wenn nicht jetzt sollte ein transparentes Verfahren in Gang gesetzt werden, dass die Betroffenen mitnimmt? Ist der warnende Zeigefinger vor Veränderungen wirklich angebracht, wenn man weiß, dass eines sicherlich nicht zur Debatte steht: die korrekturlose Verlängerung des bestehenden Schulgesetzes.
Das Paket, das Sie uns heute zur Diskussion vorlegen, enthält viele Komponenten, die die Schulen in ihrer Arbeit unterstützen. Ich erkenne ausdrücklich an, dass Sie in den vergangenen Monaten in der Tat Eltern und Schulen gut zugehört haben. Sie haben nicht versucht, mit neuen Erlassen die Verantwortung für die Folgen von G8 auf die Schulen abzuschieben, sondern sich ernsthaft bemüht, G8 erträglich zu gestalten. Ob jedoch ein bisschen Entschlackung dazu führt, dass die Schulen diesem Ziel näher zu kommen, halten wir für fraglich. Als Übergangslösung bis zur Einführung der Bildungsstandards wird es hoffentlich wenigstens dazu führen, dass der Druck auf die Kinder und die Lehrkräfte etwas geringer wird.
Wir haben uns gefreut, dass Sie unseren Vorschlag der Kontingentstundentafel wenn auch modifiziert aufgegriffen haben. Die SPD-Fraktion hat dies bereits in ihrem Antrag an das Parlament als Sofortmaßnahme für die Schüler und Schülerinnen beantragt, die mitten in G8 stecken. Mit größerer Skepsis sehen wir allerdings Ihre Initiative, allen Gymnasien zum Beginn des neuen Schuljahres die Mittel für eine pädagogische Mittagsbetreuung zur Verfügung zu stellen. Sie haben keine Aussage dazu gemacht, ob es neue Lehrerstellen oder ausschließlich Mittel geben wird. Festzuhalten bleibt af jeden Fall, dass Schulen auch Lehrerstellen benötigen, um Ganztagsangebote zu entwickeln.
Den richtigen Weg hat Rheinland-Pfalz eingeschlagen, wo die Einführung der verkürzten Gymnasialzeit an das Angebot einer gebundenen Ganztagsschule geknüpft wurde. Dies folgt der Erkenntnis, dass G8 in einer um ein Mittagessen erweiterten Halbtagsschule nur zu Lasten der Schüler umzusetzen ist. Wir werden nicht tolerieren, dass die Gymnasien bevorzugt werden müssen, um die Fehler von G8 zu übertünchen. Die SPD will ein Ganztagsprogramm für alle Schulformen.
Ihre umfangreichen Vorschläge werten wir auch als Zugeständnis, dass G8 gescheitert ist. Sie tragen dazu bei, das Gesamtbild zu verschönern, aber sie lassen den Kern des Problems unangetastet. Und der Kern des Problems ist die Verkürzung der Sekundarstufe I. Sie haben einen Pullover gestrickt, der nicht passt. Und jetzt setzen Sie überall bunte, attraktive Flicken ein, um den Pullover an den Nähten weiter zu machen. Sie scheuen die Mühe, auch schon Gestricktes wieder aufzutrennen.