<em>Doch während im Bund bereits an dem dritten Bericht gearbeitet wird, stochern wir hier in Hessen immer noch im Nebel. Während 13 von 16 Bundesländern (nicht Bremen, Saarland u. Hessen) in den 1990er Jahren begonnen haben, eigene Sozialberichte in Form von Armutsberichten oder Berichten zur sozialen Lage der Bevölkerung vorzulegen, wäre auch heute ein hessischer Armuts- und Reichtumsbericht nicht in Sicht, wenn es nach dem Willen der geschäftsführende Landesregierung ginge: Frau Lautenschläger sagte stets in der ihr eigenen Art: Wir brauchen kein neues Berichtswesen. Wir brauchen keinen neuen Armuts- und Reichtumsbericht, sondern wir müssen schauen, wenn wir Zielvereinbarungen haben, wie diese im Detail umgesetzt werden. 13 von 16 BL sehen und sahen das offenbar anders. Zu Recht!</em>
<em>Deshalb war und bleibt es ein Armutszeugnis dieser Landesregierung, Forderungen von SPD und Grünen, Forderungen der Kirchen, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände jahrelang derartig lapidar abzuschmettern. </em>
<em>Ein Bericht sollte</em>
<em>a) </em><em>eine Bestandsaufnahme der Einkommensarmut in Hessen liefern,</em>
<em>b) </em><em>Wege zur Bekämpfung von Einkommensarmut und sozialer Ungleichheit aufzeigen, und</em>
<em>c) </em><em>insbesondere die Situation von Kindern und Jugendlichen und deren Familien behandeln.</em>
<em>Den Berichten der Bundesregierung zufolge ist Armut in Deutschland kontinuierlich gestiegen, gleichzeitig ist aber auch der gesellschaftliche Reichtum das BIP und der private Reichtum gestiegen. Deshalb genügt es meines Erachtens nicht, nur die Einkommensentwicklung am unteren Ende, sondern müssen diese auch am oberen Ende betrachten. Ein A+R-Bericht muss sich auch mit der Verteilung von Geld- bzw. Einkommen befassen. Wer Armut bekämpfen will, kann nicht auf Mildtätigkeit setzen, sondern muss auch über das Steuersystem nach- bzw. umsteuern, damit genügend Mittel für Bildung, für mehr Betreuung und für eine nachhaltige Sozialpolitik zur Verfügung stehen!</em>
<em>Armut hängt nicht ausschließlich mit der finanziellen Situation zusammen. Es gibt Menschen, die arm sind, weil sie aus Unwissenheit, wegen mangelnden Sprachkenntnissen, psychischer oder sozialer Labilität nicht mit Geld umgehen können. Ihre Einkommen zu erhöhen würde diese Probleme nicht lösen. Und: Armut ist mehr als Geldmangel! Wer wenig Geld hat, ist vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Armut ist deshalb vor allem auch der Mangel an Teilhabe. Die EU nennt Menschen inzwischen arm, wenn sie über so geringe materielle, kulturelle und soziale Mittel verfügen, dass sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in ihrer Gesellschaft als Minimum annehmbar ist. Wer mit ALG II oder Niedriglöhnen einen Monat lang alle notwendigen Ausgaben, die anfallen, wie Strom, Telefon, Fahrkarten, Essen, Kleidung und Haushaltsanschaffungen bestreiten muss, für den sind weder Urlaub noch Kino noch ein kühles Radler im Biergarten drin. Menschen, die aus Kostengründen bei Krankheit nicht zum Arzt gehen, die kein Buch mehr in der Stadtbibliothek ausleihen oder sogar ihre Wohnung nicht ausreichend heizen, um Geld zu sparen. Kinder, die mit knurrendem Magen in der Schule sitzen, die auf Schulausflüge verzichten und Familien, denen 6 für die im Kindergarten gebastelte Schultüte weh tun. Ziel unserer Landessozialpolitik muss es sein, allen Menschen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.</em>
<em>Wer Armut bekämpfen will, muss bei Arbeitslosigkeit und (mangelnder) Bildung ansetzen. Wer die Menschen aus einem Alltag zwischen Fernseher und Suppenküche herausholen will, muss sich um Jobs/Beschäftigungsmöglichkeiten und Gelegenheiten für lebenslanges Lernen kümmern. Gerade Alleinerziehende haben wegen mangelnder Kinderbetreuung immer noch geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt, die durch staatliche Transferleistungen nicht zu kompensieren sind. Wir brauchen deshalb dringend mehr Krippenplätze und Ganztagsangebote! Arm ist auch, wer nicht arbeiten kann, weil ihm/ihr Deutschkenntnisse und Bildung fehlen und infolgedessen seine Kinder nicht in der Schule unterstützen kann. </em>
<em>In Deutschland wird Bildung (noch immer) vererbt – ob jemand studiert oder nicht, hängt nach wie vor stark von der sozialen Herkunft ab. Bei der 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks kam heraus: Während von 100 Akademikerkindern 83 den Hochschulzugang schaffen, stammen nur 23 von 100 aus Arbeiterfamilien. </em><em>Arbeiterkinder haben es auch der IGLU-Studie zufolge doppelt schwer. Weil sie zu Hause weniger gefördert werden, sind ihre Leistungen oft schlechter. Aber selbst dann, wenn sie genauso viel können wie ein Kind aus der Oberschicht, werden sie am Ende der vierten Klasse seltener für ein Gymnasium empfohlen. Das Elternhaus verstärkt dabei das Urteil der Lehrer noch. Während z.B. für Beamte und Unternehmer nur das Abitur zählt, neigen Arbeiter dagegen dazu, ihr Kind zu unterschätzen und eher vom Gymnasium fernzuhalten. Hier ist aktives Handeln von Bund und Land gefragt! Gleicher Zugang zu Bildung und ein erfolgreicher guter Bildungsabschluss sind die beste Prävention gegen Armut. Solange 15% eines Altersjahrgangs keinen Berufsabschluss erreichen, bei jungen Migranten sind es sogar ein Drittel, solange werden die Kinder nicht aus der Armutsspirale herauskommen. Kosten für Lernmittel, Einschulungskosten von unter Umständen 200 , Schulgebühren an privaten Schulen, Elternbeteiligung beim Schülertransport, Nachhilfekosten oder Studiengebühren sind nur einige schwere Brocken, die wir für arme Familien aus dem Weg räumen müssen. Das Land kann mehr tun: Es kann vor allem auch gute Jugendsozialarbeit, Schulsozialarbeit und z.B. Schulschwänzerprojekte unterstützen. Gerade in diesen Bereichen ist die soziale Infrastruktur von der geschäftsführenden Landesregierung sehr gebeutelt worden.</em>
<em>In Hessen gibt es Stadt- und Ortsteile, in denen sich soziale Problemlagen besonders konzentrieren. Kennzeichnend für diese sozialen Brennpunkte oder Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf ist eine überdurchschnittliche Anzahl an Sozialhilfeempfängern und -empfänger, Arbeitslosen oder Migranten sowie eine unzureichende soziale Infrastruktur und Defizite im Bereich Wohnung. Die Landesregierung hat die Kommunen und soziale Akteure vor Ort nach unserer Ansicht nicht genügend unterstützt. Insbesondere durch die Streichung der Landesmittel (OP Düstere Zukunft) für die Projekte im Rahmen des Soziale Stadt-Programms haben sich Lücken aufgetan, die dringend geschlossen werden müssen. </em><em>Kinder brauchen mehr Perspektiven in Ganztagsschulen, insbesondere geht es auch um unterschiedliche Angebote für Kinder, die ihr Lerninteresse anregen und weiterentwickeln. Eine Förderung muss unseres Erachtens weit über die Sprachkompetenz hinausgehen.</em>
<em> </em><em>Ein Armuts- und Reichtumsbericht würde auch die Lebenslagen von Menschen in verdeckter und in extremer Armut beleuchten. Nach dem Bericht der Bundesregierung kommen auf drei Sozialhilfeempfängern noch einmal 1,5 bis 2 Sozialhilfeberechtigte, die ihre Ansprüche nicht geltend machen. Wenn wir hier Vertrauen wiedergewinnen wollen, dürfen wir das Thema Armut nicht verdrängen, sondern den betroffenen Menschen zeigen, dass sich niemand schämen muss. Armut darf sich nicht weiter verfestigen! Ich bin fest davon überzeugt, dass nur auf einer soliden, wissenschaftlich fundierten evt. wissenschaftlich begleiteten (Prof. Hanisch, Darmstadt) Grundlage, das Land in der Lage ist, einen Aktionsplan gegen Armut zu erstellen, der notwendig wäre, um unsere sozialpolitischen Aufgaben zu erfüllen. Wichtig ist oder wäre (für uns), dass der Bericht der Landesregierung gemeinsam mit den Institutionen erstellt wird, die nah an den Menschen sind, den Wohlfahrtsverbänden, den Kirchen und den Gewerkschaften, wie dies z.B. in Rheinland-Pfalz gemacht wurde. </em><em>Wichtig ist für uns, dass ein solcher Bericht in regelmäßigen Abständen erstellt, veröffentlicht und hier im Plenum diskutiert wird. Ob dies in zweijährigem Abstand sinnvoll ist, da habe ich meine Zweifel. Sicher wäre es sinnvoll, Einzel- oder Kurzberichte zu speziellen Problemfeldern wie z.B. Verschuldung, auch in kürzeren Abständen zu erstellen. Wichtig ist für uns, dass die Landesregierung endlich handelt und einen Bericht vorlegt. </em>
<em>Im Bund reichte 1999 ein Antrag im Bundestag, der die rot-grüne Bundesregierung zur Erstellung eines Armut- und Reichtumsberichts aufforderte. Ich bedauere, dass ein Antrag eine geschäftsführende Landesregierung noch dazu eine, die diesem Projekt eher abgeneigt ist nicht reicht. Deshalb unterstützen wir den Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen!</em>