Heike Habermann (SPD): Für mehr Chancengleichheit in der Schule

Wir dokumentieren die Rede der bildungspolitischen Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Heike Habermann, im Plenum des Hessischen Landtags in Auszügen:
„Die SPD-Fraktion bringt heute einen ersten Gesetzentwurf zur Novellierung des Hessischen Schulgesetzes ein, der in einem ersten Schritt vier Fehlentwicklungen korrigieren will, mit denen Eltern, Schulen und Schulträger in der letzten Legislaturperiode konfrontiert wurden. Es ist ein erstes Gesetz, weil nur in einer umfassenden Überarbeitung das Ziel erreicht werden kann, die Grundlagen für eine Schule zu legen, die ganzheitlich, individuell und früh fördert und die Chancengleichheit und ein qualitativ hohes Leistungsniveau miteinander vereinbaren kann. Dazu braucht es mehr Lehrerstellen und es braucht eine finanzielle Ausstattung der Schulen, die ihnen diese Arbeit ermöglicht.
…. Als ersten Punkt beantragen wir, den Begriff der Unterrichtsgarantie Plus aus dem Schulgesetz zu streichen und die Verwendung der für dieses Programm zur Verfügung stehenden Mittel in Höhe von 30 Mio. Euro von den bürokratischen Auflagen zu befreien. Die Schulen sollen in eigener Verantwortung entscheiden, wie verlässliche Schule gestaltet wird.
Die Praxis, dass die Vertretung einer ausgefallenen Unterrichtsstunde mit dem Etikett ‚Fachunterricht’ belegt werden muss, auch wenn keine ausgebildete Lehrkraft zur Verfügung steht, soll im Interesse der schulen und der Schüler beendet werden. Verträge sollen längerfristig abgeschlossen werden können, um dem Schulprofil entsprechend pädagogische Angebote entwickeln zu können, die auch im Falle eines Unterrichtsausfalls für ein sinnvolles Angebot sorgen.
Die Einbeziehung von Sozialpädagogen oder anderweitig qualifizierten Personen, die unterrichtsergänzend Projekte anbieten ist im Interesse einer lebendigen und offenen Schule und kann den Schülerinnen und Schülerinnen neue Impulse und Hilfestellungen vermitteln. Parallel dazu muss eine bessere Versorgung mit Lehrkräften Ziel sein. Denn wo Unterricht drauf steht, müssen Lehrkräfte drin sein. U+ war zu lange ein Feigenblatt für das gebrochene Versprechen der Unterrichtsgarantie und ließ die Schulen ausbaden, was die Personalpolitik des Kultusministeriums versäumt hatte.
Zweitens wollen wir die Möglichkeit der Querversetzung aus dem Schulgesetz streichen, die vom Hess. Kultusministerium 1999 erfunden wurde und seit 2005 auch ohne Einwilligung der Eltern erfolgen kann. Das Instrument der Querversetzung ist in erster Linie ein Instrument der Auslese und pädagogisch wertlos. Es war schon immer möglich, in Abklärung mit den Eltern und in Einzelfällen den Schulwechsel eines Kindes zu vollziehen. Diese Regelung halten wir für ausreichend. Querversetzung als Regelinstrument bedeutet jedoch, Schülern eine Rutschbahn nach unten aufzubauen, wenn Lerntempo und Lernpensum vom Klassendurchschnitt zu einem bestimmten Zeitpunkt abweichen. Es ist eben selten zum Wohle eines Kindes, erzwungenen Schulwechsel zusätzlich zu individueller Lernproblematik verkraften zu müssen. Auch Reinhard Bauß, Vorsitzender der AG der Gymnasialdirektoren, der eine Abschaffung der Querversetzung nicht generell befürwortet, bestätigt in einer Stellungnahme in der FAZ vom 22.04.08, dass Querversetzung selten eine gute Lösung sei. Wenn solche Kinder auf anderen Schulen ‚als Verlierer aus dem Gymnasium ankämen’, könne sie das sehr belasten.
Ziel ist, die Mitwirkung der Eltern zu stärken und den Schulen eine bessere Ausstattung zu geben, damit individuelle Förderung möglich wird und der Satz ‚Kein Kind wird zurückgelassen’ auch in der schulischen Praxis umgesetzt werden kann. Wir wollen in einem späteren Schritt auch die Nichtversetzung als Regelinstrument abschaffen. Dieses muss allerdings parallel mit einer besseren Ausstattung der Schulen einhergehen.
Der dritte Punkt unseres Gesetzentwurfs ist das Streichen der Richtwerteregelung aus dem Schulgesetz. Die Richtwerte waren der hilflose Versuch, die Auswirkungen der demografischen Entwicklung und der sinkenden Schülerzahlen mit dem Rechenschieber zu lösen. Eine erste Welle von Standort- und Schulformschließungen hat dazu geführt, dass es die berechtigte Angst der Eltern gibt, für ihre Kinder seien Schulangebote für alle Abschlüsse zukünftig schwieriger oder gar nicht mehr erreichbar. Zusammen mit einer Erleichterung für die Gründung neuer Integrierter Gesamtschulen überträgt die Änderung des Schulgesetzes mehr Verantwortung an Schulträger für eine nachhaltige und intelligente Schulentwicklungsplanung. Längeres gemeinsames Lernen und alle Bildungsangebote unter einem Dach können eine Antwort vor Ort auf geringere Schülerzahlen und steigende Entfernungen zur Schule sein.
Der vierte Punkt nimmt die Option für die Schulträger zurück, Eltern an den Schülerbeförderungskosten zu beteiligen. Bildung darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängig sein, das betrifft auch die Fahrtkosten zur Schule. Wir gehen davon aus, dass wir für diesen Punkt auch Zustimmung bei den Schulträgern finden. Seit dem 1.1.2005, seit die Regelung im Hess. Schulgesetz aufgenommen wurde, hat nur ein einziger Schulträger davon Gebrauch gemacht. Offensichtlich sehen die Landkreise und kreisfreien Städte die Problematik einer Elternbeteiligung an den Fahrtkosten ähnlich.
Ich komme nun zum Gesetzentwurf der Grünen. Ich will eines vorab sagen: Wir freuen uns für jede Schule, die ihren Schülern und Schülerinnen G8 nicht mehr als Zwangsmaßnahme verordnen muss sondern eine sechsjährige Mittelstufe anbieten können. Insgesamt sind die Grünen jedoch zu kurz gesprungen. Nicht gelöst wird mit diesem Gesetzentwurf die Belastung der Kinder, die weiterhin in einer verkürzten Mittelstufe unterrichtet werden. Was nützt dieses Gesetz z.B. den Kindern an eigenständigen Gymnasien? Wir werden in der Beratung für unsere Position werben. In den kooperativen Gesamtschulen sollte G9 wieder Regel sein und nicht Option. Eine sechsjährige Mittelstufe für alle gymnasialen Angebote ist für uns notwendig, um den Druck auf die Kinder abzubauen. Weniger Vertiefung des Lehrstoffs, weniger Förderung individueller Interessen und mehr Pauken und Faktenlernen sind Folgen der verkürzten Mittelstufe. Deshalb ist jedes Medikament, das diese Verkürzung weiter zulässt, ein Schönheitspflaster und wird nicht zu dem gewünschten Erfolg, d.h. mehr Qualität und bessere Leistungen führen. Wir hätten genügend Zeit, ein reformiertes Modell für die Oberstufe zu entwickeln, das eine individuelle Schulzeitverkürzung möglich macht und das Abitur in zwölf oder dreizehn Jahren ermöglicht. Wir werden auch nicht müde werden, für ein solches Modell auch bei den Kolleginnen und Kollegen der FDP zu werben, die in ihrem Wahlprogramm genau diese sechsjährige Mittelstufe kombiniert mit einer verkürzten Oberstufe fordern. Es scheint mir eine neue Form von Glaubwürdigkeit von Parteiprogramm, wenn Frau Henzler erklärt, an das Partei-Votum fühle sie (und wohl auch ihre Fraktion) nicht gebunden.
Der Wiedereinführung des Begriffs Durchlässigkeit in das Hessische Schulgesetz stehen wir positiv gegenüber. Allerdings muss man ehrlicherweise sagen, dass sich bei der bestehenden Schulpolitik nicht verändern wird, wenn ich Anschlussfähigkeit durch Durchlässigkeit ersetze. Man braucht auch bessere Arbeitsbedingungen in den schulen, um Durchlässigkeit zu erreichen. Das gibt es nicht zum Nulltarif. Außerdem hat insbesondere G8 die Durchlässigkeit faktisch unmöglich gemacht, Förderstufen zerstört und Schulformen gegeneinander abgegrenzt. Wer den Sprung zur sechsjährigen Mittelstufe in die Wahl der Schulen stellen will, tut zuwenig, um Durchlässigkeit zu organisieren.“
<link http://www.heike-habermann.de>http://www.heike-habermann.de</link>