In der öffentlichen Wahrnehmung herrscht der Eindruck vor, dass immer häufiger Sexualstraftaten und Morde an Kindern oder Jugendlichen vorkommen. 89% der Befragten einer Studie von Prof. Pfeiffer waren 2003 der Auffassung, dass sexueller Missbrauch an Kindern häufiger vorkomme als noch 1993 (davon waren 40% der Auffassung, dass er sehr viel häufiger und 31%, dass er viel häufiger vorkomme). Die gleiche Gruppe der Befragten schätzte, dass 2003 115 vollendete Sexualmorde gegenüber 32 in 1993 begangen worden seien. Diese gefühlte Kriminalität hat glücklicherweise wie der Zweite Periodische Sicherheitsbericht belegt, nicht viel mit der Realität zu tun.
Die Zahl der Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern ist seit 1993 (15.430 erfasste Fälle) bis 2003 gleich geblieben. 2005 wurden 13.962 Fälle erfasst. Das ist ein Rückgang um fast 10% seit 1993 bzw. 2003. 89% der Befragten lagen damit in ihrer Schätzung völlig falsch. Lediglich 10% waren der Ansicht, die Zahlen seien gleich geblieben, bzw. 1% glaubte, dass es weniger Fälle geworden seien.
Bei den vollendeten Sexualmorden sieht es noch etwas drastischer aus. Die Zahl der vollendeten Sexualmorde ist von 32 in 1993 auf 20 in 2003 bzw. 14 in 2005 gesunken. Das ist von 1993 bis 2005 eine Abnahme um mehr als 56%. Dies belegt auch der Zweite Periodische Sicherheitsbericht. Die Zahl der Morde an Kindern nach vorangegangenem Missbrauch ist weitaus niedriger als angenommen, etwa zwischen zwei und fünf Fällen pro Jahr. In 2005 wurden vier Fälle registriert.
Lassen Sie mich jedoch deutlich machen, dass diese Zahlen die Straftaten weder klein reden noch verharmlosen sollen. Jeder Fall steht für ein schwerstes Verbrechen, schreckliche Schicksale und Tragödien. Aber die Erhebungen zeigen, dass die polizeiliche Bekämpfung und die gesetzlichen Maßnahmen nicht wirkungslos geblieben sind. Seriöse Politik muss jedoch danach fragen, ob die vorhandenen Gesetze und Konzepte gegen Gewalt und Sexualstraftäter ausreichen.
Gerade wir Sozialdemokraten haben seit unserer Regierungsübernahme in 1998 auf der Bundesebene besonders auch präventiv sehr viel für den Opferschutz getan: So mit dem Aktionsplan zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung von 2003, mit dem eine Gesamtstrategie entwickelt wurde, um Kinder und Jugendliche vor sexueller Gewalt und Ausbeutung wirkungsvoll zu schützen.
Es wurde dafür gesorgt, dass gefährliche Straftäter vermehrt in Sicherheitsverwahrung genommen werden können. Außerdem wurden die Straftatbestände angepasst und verschärft. Mit dem Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung haben wir insbesondere die Anhebung der Strafrahmen im Bereich der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung sowie die Schließung einiger Strafbarkeitslücken vorgenommen. Der Anwendungsbereich des sehr erfolgreichen Ermittlungsinstruments der DNA-Analyse und die Möglichkeiten zu so genannten Reihengentests wurden ebenfalls erweitert.
Weitere maßvolle gesetzliche Regelungen und strafbewehrte Weisungen sind geplant bzw. schon auf dem Weg, so bei der Nachsorge von entlassenen Straftätern. Verstößt der Verurteilte gegen diese oder andere Weisungen, so soll dies künftig mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren (bisher: bis zu einem Jahr) geahndet werden können.
Was die nachträgliche Sicherheitsverwahrung anbelangt, ist im Koalitionsvertrag zudem vorgesehen, die Regelungen in besonders schweren Fällen auf Jugendliche auszudehnen. Das Bundesjustizministerium wird hierzu in Kürze einen Gesetzentwurf vorlegen. Die Forderung, die nachträgliche Sicherungsverwahrung auch für Ersttäter vorzusehen, halten wir nicht für sinnvoll, da bei einem Ersttäter im Zeitpunkt der Hauptverhandlung mangels ausreichender Tatsachengrundlage weder der Hang zu schwerwiegenden Straftaten festgestellt, noch die Gefährlichkeitsprognose mit der erforderlichen Sicherheit getroffen werden kann.
Wir begrüßen, dass die Landesregierung Sexualstraftäter umfassender als bisher bewachen und behandeln will. Gerade für Sexualstraftäter müssen besondere Therapien bereitgestellt werden. Denn eine erfolgreiche Therapie und Behandlung ist zwar kein Wundermittel, aber noch das beste Mittel gegen Rückfälle. Insbesondere integrative Absätze sind hier sehr viel versprechend. Dem hat der Bundesgesetzgeber insbesondere durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten Rechnung getragen. In der Bereitstellung sozialtherapeutischer Angebote bestehen allerdings seit Jahren beträchtliche Defizite! Zu wenige Sexualstraftäter werden therapeutisch behandelt und therapeutisch notwenige Vollzugslockerungen werden auch in Hessen zurückgefahren.
Für die SPD-Fraktion gehört zu einer rechtsstaatlichen Rechtspolitik, Fragen der Schutzes vor Sexualstraftätern gewissenhaft und seriös zu beantworten; den gesetzlichen Schutz dort verfassungskonform zu erweitern, wo es erforderlich ist, Anwendungsdefizite in der Praxis zu beseitigen und Populismus keinen Vorschub zu leisten.