Verfassungsklage gegen Studiengebühren wird heute eingereicht

„Die Situation von Teilzeitstudierenden wird nicht hinreichend berücksichtigt und die Vereinbarkeit von Familie und Studium massiv erschwert. Zudem sind gar nicht alle Studierenden berechtigt, ein Darlehen zur Finanzierung der Studiengebühren zu erhalten –  so sind Studierende im Zweitstudium, über 45-jährige und Langzeitstudierende davon ausgeschlossen. Aber nicht nur zahlreiche gute Argumente, sondern auch die Hessische Verfassung stehen gegen Studiengebühren. Weil wir die Einführung allgemeiner Studiengebühren politisch für falsch und das Gesetz zudem für verfassungswidrig halten, klagen wir nun wie angekündigt gemeinsam vor dem Staatsgerichtshof gegen dieses Gesetz“, so Ypsilanti und Sorge.

SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Hessischen Landtag machen die Verfassungs­widrigkeit des Hessischen Studienbeitragsgesetzes in einem Normenkontroll­antrag vor dem Staatsgerichtshof in Wiesbaden geltend. Der Normenkontrollantrag wird von allen 45 Abgeordneten beider Fraktionen gemeinsam gestellt. Vor dem Verfassungsgericht werden sie von dem Hamburger Universitätsprofessor Arndt Schmehl vertreten, der die Antragsschrift heute einreichen wird.

Wie Prof. Dr. Arndt Schmehl erläuterte, setzt sich die knapp einhundert Seiten starke Antragsschrift ausführlich insbesondere mit dem Haupttatbestand des Studienbeitrags­gesetzes, dem „Grundstudienbeitrag“ auseinander. Diesen sollen alle Studierenden ab dem nächsten Wintersemester in Höhe von 500 Euro pro Semester, also bei einer üblichen Studiendauer von zwölf Semestern insgesamt 6.000 Euro, zusätzlich zu den Verwaltungskosten- und Sozialbeiträgen zahlen. Die Hessische Verfassung lässt es aber nach den Worten Schmehls nicht zu, dass solche öffentlichen Abgaben von jedem Studierenden unabhängig von seiner wirtschaftlichen Lage verlangt werden. Die in Art. 59 der Verfassung enthaltene grundrechtliche Garantie der Unentgeltlichkeit des Unterrichts an Schulen wie an Hochschulen sei zwar nicht unbegrenzt. Das neue Gesetz greife aber in den Wesenskern dieses Grundrechts ein.

Der Rahmen der so genannten Schulgeldklausel der Verfassung, auf die sich der Gesetzgeber beruft, sei hingegen durch das Gesetz überschritten, sagte Schmehl. Dort ist bestimmt, dass der Gesetzgeber ein angemessenes Schulgeld verlangen kann, wenn die wirtschaftliche Lage des Schülers, seiner Eltern oder der sonst Unterhaltspflichtigen es gestattet. Darin liege auch nach der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs eine Ermächtigung an den Gesetzgeber, „wirtschaftlich stärkere Gruppen zu einem Beitrag für die Kosten des Unterrichtswesens zu verpflichten und damit einen sozialen Ausgleich zu schaffen“, erläuterte Schmehl. Es sei also gerade nicht daran gedacht, dass alle Studierenden ohne Rücksicht auf ihre wirtschaftliche Lage zu der Abgabe herangezogen werden könnten.

Die vom Gesetz angebotene Möglichkeit, dass Bedürftige hierfür ein Darlehen aufnehmen und nach dem Studium zurückzahlen könnten, ändere daran nichts, so Schmehl weiter. Für die Rechtfertigung der Abgabenpflicht sei es nicht ausreichend, dass man sich zu ihrer Zahlung notfalls auch verschulden könne. Mit dem so genannten Darlehensmodell erfolge letztlich eine staatliche Vorbelastung von zukünftigem Einkommen; dies sei etwas anderes als ein von der gegenwärtigen wirtschaftlichen Tragbarkeit abhängiges „Schulgeld“ im Sinne der Verfassung.

Die Antragsschrift baue, wie Schmehl sagte, auf die bisherige Rechtsprechung des Staats­gerichts­hofes auf. Ein Erfolg des Antrags setze also auch keineswegs eine Änderung der Rechtsprechung voraus.

Neben dem Haupttatbestand erachten die Antragsteller auch eine ganze Reihe von weiteren einzelnen Regelungen für verfassungswidrig. So habe der Landesgesetzgeber die Bedingungen von Vergünstigungen bei der Darlehensgewährung nur durch einen Verweis auf die Einkommensgrenzen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) geregelt und damit keine hinreichende eigene Entscheidung  zur Festlegung wirtschaftlicher Leistungsfähigkeitskriterien getroffen. Der Schutz der wirtschaftlich Bedürftigen sei dadurch nicht gewährleistet, zumal die Grenzen des BAföG zu selten angepasst würden. Verfassungsrechtlich kritisiert wird auch, dass die sich über die Jahre zu hohen Beträgen summierende Verzinsung von bis zu 7,5 Prozent bei fehlender BAföG-Berechtigung zu einer Höherbelastung von wirtschaftlich schlechter gestellten Studierenden gegenüber den Bessergestellten führt, die ohne das Darlehen auskommen und daher insgesamt weniger zahlen.

Nicht mit der Verfassung vereinbar ist es der Antragsschrift zufolge weiterhin, dass ein Teil des Aufkommens der von den Studierenden gezahlten Beiträge zur Deckung der Kosten der Ausfälle bei Darlehensrückzahlungen verwendet wird. Ferner trage das Gesetz der Situation von Teilzeitstudierenden nicht hinreichend Rechnung. Schließlich sei für Studierende, die bereits eingeschrieben sind und ein „Studienguthaben“ für ein gebührenfreies Studium nach der vorherigen Rechtslage zugesprochen bekommen haben, eine günstigere Übergangs­regelung notwendig, um ihrem in das Studienguthaben gesetzten Vertrauen gerecht zu werden.

Der Prozessbevollmächtigte der Abgeordneten und ihrer Fraktionen, Prof. Dr. Arndt Schmehl, ist als Experte für Verfassungs- und Verwaltungsrecht und  Finanz- und Steuerrecht hervorgetreten. Er hatte sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit auch den Verfassungsfragen der Studienentgelte speziell in Hessen gewidmet. Schmehl hat in Gießen studiert und sich dort auch habilitiert. Nach Tätigkeiten an der Universität Augsburg und der Ludwig-Maximilians-Universität München folgte er zuletzt einem Ruf an die Universität Hamburg, wo er den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht innehat.

„Da grundlegenden verfassungsrechtlichen Bedenken nicht Rechnung getragen wurde, halten wir das Studiengebührengesetz der CDU weiterhin für verfassungswidrig. Wir wollen die Umsetzung der Studiengebührenpläne auf juristischem Weg verhindern und werden daher heute gemeinsam den Staatsgerichtshof anrufen", bekräftigten Ypsilanti und Sorge. „Endgültig entscheidet über die Frage, ob es an hessischen Hochschulen Studiengebühren geben wird oder nicht, jedoch nicht allein der Staatsgerichtshof. Entscheiden können darüber die Wählerinnen und Wähler bei der Landtagswahl 2008 mit ihrer Stimme, denn sowohl GRÜNE als auch SPD haben angekündigt, dass sie die CDU-Studiengebühren wieder zurücknehmen werden, wenn sie nach der Landtagswahl Regierungsverantwortung tragen!“