Thomas Spies (SPD): FDP geht bei Gesundheitsreform Lobbyisten auf den Leim

Aber ach, dann sah ich den Antrag. Und ich fragte mich: Soll ich lachen oder weinen? Dieses immerhin in den ehernen Rang einer Drucksache des Hessischen Landtags erhobene Dokument der Abstinenz jeglicher eigener Inhaltlichkeit traf mich erschütternd, mit unerwarteter Heftigkeit.

Schon die Überschrift: Klares Nein zur Staatsmedizin. Herr Rentsch, da sind Sie den Lobbyisten auf den Leim gegangen. Es gibt nämlich gar keine Staatsmedizin mit dieser Reform. Man kann das begrüßen oder bedauern. Tatsache ist, es muss ein ausgewogenes Verhältnis geben zwischen einem Staat, der die umfassende, gute und wirtschaftliche Versorgung garantiert, und der kreativen und ideenreichen Initiative des Einzelnen in der Umsetzung. In Wahrheit streiten wir da um Nuancen. Dass Sie nun das ganz böse Wort von der Staatsmedizin gleich zur Überschrift machen, sagt uns vor allem eines: Sie haben nicht nur keine Ideen, Sie haben das Gesetz, über das Sie reden, nicht einmal gelesen.

Was meinen denn die Interessenvertreter, wenn sie überhaupt einen Inhalt mit dem Schlagwort Staatsmedizin verbinden? Krankenkassen können und sollen Kassenarten übergreifend fusionieren. Dann gibt es faktisch keine verschiedenen Kassenarten mehr. Wozu dann noch kassenartenspezifische Bundesverbände? Die FDP als Vorkämpferin für unnötige Bürokratie. Welche Zeiten, welche Sitten.

Der Gemeinsame Bundesausschuss wird teilprofessionalisiert und bekommt Entscheidungsfristen. Na endlich. Menschen müssen nicht mehr vermeidbar auf wichtige Innovationen warten. Aber nein: Die FDP als Verteidigerin der Trägheit.

Was die FDP Eigenverantwortung nennt, ist nichts anderes, als kranke Menschen einer unkontrollierten und unkontrollierbaren Übermacht der Versicherungsverkäufer und der Leistungsaufschwätzer auszuliefern. Diese absurde Verkennung des Marktes, der gleich starke, gleich informierte Partner voraussetzt. Patienten sind nicht gleich informiert, und sie sind niemals gleich stark. Im Verhältnis von Arzt und Patient ist nur einer angezogen, damit sind die Verhandlungsbedingungen des Patienten als angeblichen „Kunden“ abschließend definiert.

Sie wollen den Patienten als Puffer zwischen Ärzten, KV-Prüfung und MDK. Direktabrechnung ist nichts anderes als ein Akt der Feigheit. Es ist die Feigheit mancher Leistungsanbieter, die sich vor der Kontrolle der Experten, der Gleichrangigen und gleich Informierten verstecken wollen. Die sich nicht rechtfertigen wollen vor denen, die es beurteilen können, sondern sich hinter dem schwächsten Glied in der Kette verstecken. Der Patient wird schon genug Angst davor haben, dass der Doktor verärgert sein könnte, und keinen Ärger machen. Der Wunsch mag noch verständlich sein, ihn politisch nachzuplappern eine Zumutung.

Der Höhepunkt aber ist Punkt zwei ihres Antrages. Was steht da? Die Mehrkosten für den Landeshaushalt. So ist selten einer der selbst bestellten Propaganda auf den Leim gegangen. Nichts kostet es den Landeshaushalt. Die ganz ominöse Länderausgleichsdebatte bezog sich auf das Beitragsvolumen. Das haben Sie schlicht nicht kapiert.

Diese Reform löst technisch einwandfrei eine Reihe von organisatorischen Problemen im Gesundheitswesen, und das macht sie richtig: Jeder muss versichert sein, auch ehemalige Privatversicherte, und zwar zu einem Basistarif, der bezahlbar und leistbar ist.

Die Neuordnung der Arzthonorare wird für mehr Gerechtigkeit und für mehr Sicherheit für die Ärzte sorgen. Eine Gebührenordnung für Ärzte mit festen Preisen schafft Kalkulierbarkeit. Ärzte in unterversorgten Regionen bekommen einen Bonus.

Zusätzliche Leistungen wie Palliation, Rehabilitation, Hospize und Impfungen werden völlig zu Recht in den Leistungskatalog aufgenommen. Da müssten doch gerade Sie, Herr Rentsch, jubilieren ob der Weisheit der großen Koalition. Sie waren es doch, der die Diskussion um Palliativnetzwerke im Sozialpolitischen Ausschuss forciert hat. Jetzt wird das auch noch ordentlich bezahlt. Wollen Sie lieber die Palliation wieder als freiwillige Leistung, damit es keine Krankenkasse macht?

Hausarzttarife und Integrierte Medizin werden gestärkt. Und auch das ist ein wirklicher Fortschritt, dem sich die Union endlos verweigert hatte. Die<strong> </strong>Arzneimittelpreise werden weiter sinken. Nach den Erfolgen des AVWG können nun die Kassen mit den Herstellern günstigere Preise aushandeln. Für mehr Geld muss auch mehr Leistung gebracht werden.

Wir werden mit dieser Reform das leistungsstarke und solidarische Gesundheitssystem erhalten.<strong> </strong>Das deutsche Gesundheitswesen schneidet im internationalen Vergleich hervorragend ab. Mit dieser Reform werden nicht alle Probleme gelöst, wahrlich nicht. Sie ist solides Handwerk, weil sie dieses hervorragende Gesundheitswesen unter den aktuellen und künftigen Herausforderungen leistungsfähig, solidarisch und finanzierbar hält. Die Gesundheitsreform ist ein Kompromiss. Es ist nicht die Verwirklichung der Utopie von der schönen Welt. Es gibt noch sehr viel zu tun, aber mehr war mit der Union nicht drin.“