Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Rechtsextremismus bekämpfen muss oberste Priorität haben

84 Jahre später, nach dem Untergang der ersten deutschen Demokratie und nach Aufstieg und Fall einer Diktatur, die das entsetzlichste Verbrechen der Menschheitsgeschichte vollbracht hat, und auch nach nunmehr 60 Jahren Nachkrieg und Frieden bleiben die Worte Joseph Wirths gültig: Der Feind, der sein Gift in die Wunden des Volkes manchmal träufelt, manchmal verspritzt, dieser Feind steht immer noch rechts!

Es geht wieder einmal um den Rechtsextremismus. Zunehmende rechtsradikale Tendenzen und schleichende Akzeptanz geben uns wieder einmal Anlass, dass wir uns heute mit diesem Thema befassen müssen.

Der Rechtsextremismus in all seinen wandelbaren und doch immer gleichen Erscheinungsformen, Spielarten und ideologischen Versatzstücken ist nach wie vor präsent und damit auch noch immer der Gegner aller Demokratie schlechthin!

Rechtsextremismus, Neofaschismus/Neonazismus, Rassismus, Antisemitismus: Das waren und sind seit Anbeginn einzeln und zusammen die Feinde jeden zivilisatorischen, kulturellen Fortschritts, die Feinde von Aufklärung, Toleranz und Liberalität, von Rechtstaat und Demokratie, kurz: die Feinde all dessen, was unter mühevollen und opferreichen Auseinandersetzungen und manchmal eben auch Kämpfen errungen worden ist und was zu verteidigen unser aller vorrangige und vornehmste Aufgabe ist. Wenn es in Deutschland eine Staaträson gibt, dann ist es diese!

Auch wenn diese Landesregierung und ihr oberster Landesverfassungsschützer sich offenbar lieber dem Thema des islamischen Terrorismus zuwenden würden, werden wir alles unternehmen, was verhindert, dass diese Gesellschaft auf dem rechten Auge erblindet.

Deshalb widmen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten der Frage der Bekämpfung des Rechtsextremismus seit jeher große Aufmerksamkeit. Dazu verpflichtet uns nicht nur die Bedeutung der Aufgabe, dazu verpflichtet uns auch das Vermächtnis der Verfolgten und Ermordeten aus unseren eigenen Reihen.

Deshalb wollen wir heute über die Antwort der Landesregierung auf unsere Große Anfrage debattieren.<strong> </strong>Wir verbinden damit die Hoffnung, dass wir dadurch die Auseinandersetzung über die Notwendigkeiten und Möglichkeiten bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus ein Stück voran bringen können. Das sollte unser aller gemeinsames Ziel sein!

Um es vorweg zu sagen: Die Antwort der Landesregierung ist informativ, sie ist eine viele Themen berührende Fleißarbeit und ist als solche durchaus verdienstvoll, aber sie greift in vielfacher Hinsicht zu kurz, weil es ihr – so meine These – an einem tieferen Verständnis der Bedeutung des Problems mangelt.

Das Kernproblem ist, dass Sie den Rechtsextremismus nach wie vor als ein Randphänomen betrachten und nicht als eine der großen gesellschaftspolitischen Herausforderungen, die er tatsächlich ist. Oder anders ausgedrückt: Für Sie ist Rechtsextremismus etwas, was sich an den pathologisch-kriminellen Rändern von Gesellschaft und Politik abspielt und was also vor allem mit repressiven polizeilichen Mitteln bekämpft werden muss und auch – so der Glaube und die Hoffnung – bekämpft werden kann.

Daran ist so viel unstreitig, so z.B., dass es den Extremismus des „lunatic fringe“, zu Deutsch des „Narrensaums“, und der politkriminellen Subkulturen natürlich gibt, dass er sorgfältig beobachtet und entschieden bekämpft werden muss. Deshalb gilt unser Dank auch all den Kräften bei Verfassungsschutz, Polizei und Justiz, die diese nicht einfache Arbeit tagein, tagaus unter nicht einfachen Bedingungen tun.

Aber wer sich mit dieser Betrachtung begnügt, der ist entweder ignorant oder glaubt, die Welt ist nur Schwarz und Weiß. In jedem Fall übersieht er all die Graustufen und subtilen Tendenzen moderner rechtsradikaler und extremistischer Erscheinungsformen. Zum Beispiel den „Extremismus der Mitte“, wie Seymour Martin Lipset den Nationalsozialismus genannt hat, den Extremismus, der paradoxerweise im Herzen, in den Kernbereichen unserer Gesellschaft verankert ist, bekämpft man mit solchen Mitteln nicht und von diesem Extremismus ist in Ihrer Antwort leider keine Rede! Dieser „Extremismus der Mitte“ existiert in zweierlei Hinsicht:

Erstens: Wir wissen seit vielen Jahren, dass ein erheblicher, seinem äußeren Erscheinungsbild und seiner Selbstwahrnehmung nach vollkommen „normaler“ Teil der Bevölkerung ein praktisch geschlossen rechtsextremistisches Weltbild besitzt. Wohlgemerkt: Millionen von Menschen, die nicht Mitglieder oder Wähler der in Ihrer Antwort aufgezählten Parteien oder Organisationen sind, Menschen „wie du und ich“ sozusagen. Das hatte bereits die 1979/80 durchgeführte und 1981 veröffentlichte SINUS-Studie deutlich gemacht und das zeigt erneut dramatisch die dieser Tage veröffentlichte Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Hier ist der alltägliche Nährboden auch für den virulenten oder wenn man so will: den extremen Extremismus. In diesen Biotopen blüht und gedeiht er immer wieder neu.

Zweitens und damit durchaus im Zusammenhang stehend: es gab schon immer und gibt nach wie vor ein gut etabliertes braunes Netzwerk, dessen Wortführer u.a. die Ideen jener <link http://de.wikipedia.org/wiki/Konservative_Revolution – – "Konservative Revolution">Konservativen Revolution</link> der 20er Jahre propagieren, die damals das “Dritte Reich” vorbereitet haben. Ein kluger Beobachter  sagte 1994 unter der Überschrift „Deutschland driftet – und zwar nach rechts!“ über dieses Netzwerk: „Wird jetzt die rechte Tyrannei abgelegt, eingeordnet und bagatellisiert, die linke dagegen dämonisiert – so werden rechtsradikale und konservative Revolutionäre salonfähig. Dann beanspruchen sie ihren Platz im demokratischen Verfassungsspektrum, dann verschiebt sich die Mitte nach rechts. Die Maßstäbe verschwimmen, und Deutschland driftet.” Der kluge Beobachter heißt Friedbert Pflüger, war Spitzenkandidat der CDU bei den letzten Berliner Wahlen und ist Mitglied des CDU-Bundesvorstandes.

Klingt es nicht, als hätte er gewisse Historiker im Auge, die bei gewissen hessischen Parteien programmatische Reden zum Thema ‚Patriotismus’ halten?

Diese beiden zusammengehörenden Themen fehlen in Ihrer Fleißarbeit fast völlig. Und deshalb ist auch das, was Sie an Strategien vorzuschlagen haben, ungenügend. Es fehlen tiefgehende Informationen und Bewertungen zu Bewusstseinsstrukturen, zu Mentalitäten und Milieus, zu den ideologischen und politischen braunen Netzwerken, aus denen sich die Führungsschichten des Rechtsextremismus rekrutieren, und auch zu dem intellektuell-kulturellen Umfeld, das die Stichworte liefert und auf das sich der harte Kern immer neu beziehen kann. Dies gilt insbesondere für die Grenzbereiche.

Die Rolle der Burschenschaften, ein ewig junges Thema, wird ausgeklammert. Der Blick ist verengt auf das Gewalt- und das Jugendproblem. Gibt es keine offene Gewalt, dann gibt es auch kein Problem. Das ist ein Tunnelblick, mit dem man die gesellschaftlichen Dimensionen und Herausforderungen mehr als eingeschränkt wahrnimmt.
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Es gibt keine vertiefende Forschung zu kleineren Organisationen und neuartigen Organisationsstrukturen. In Hessen existiert keine Task Force Rechtsextremismus – deshalb fehlt der systematische Blick auf die Zusammenhänge. Und schließlich: Es gibt keine fest etablierte Zusammenarbeit zwischen Staat, Kommunen und den zivilgesellschaftlichen Organisationen und Gruppen.

Besonders gelitten hat auch die präventive Vorfeldbekämpfung rechtsextremistischer Tendenzen in Hessen. Allein durch die radikale Streichung sozialpolitischer Programme, durch die Operation „Düstere Zukunft“, hat diese Landesregierung Strukturen begünstigt, die auch heute noch den Nährboden extremistischen Gedankenguts begünstigen. Wie auch beim Umgang mit der Inneren Sicherheit setzen Sie hier wieder auf Repression und zu wenig auf Prävention. Beim Aussteigerprogramm Ikarus z.B. erfolgt die Bearbeitung ebenfalls nur rein polizeilich und verfassungsschutzrechtlich, aber nicht zivilgesellschaftlich. Eine Zusammenarbeit existiert nicht.

Bildung und Erziehung müssten eine herausragende Rolle innerhalb der Gegenstrategien spielen. In Sachsen (dort gibt es das Programm „Demokratie Lernen und Leben“) und in Rheinland-Pfalz wird in den Schulen strukturierter und professioneller mit dem Thema umgegangen, in Hessen bleibt leider viel zu Vieles dem Zufall überlassen. Die Rolle der Landeszentrale für Politische Bildung ist unzureichend. Die Zuweisungen für die außerschulische politische Jugendbildung stagnieren seit Jahren und den Kommunen fehlt auch hier das Geld, um zu kompensieren oder gar aufzustocken. Vielerorts wird Gedenkstättenarbeit reduziert oder eingestellt. Die Medienpädagogik – angesichts der erregten Debatte über Gewaltvideos wieder einmal ein hochaktuelles Thema – ist auf niedrigstem Stand angelangt. Die Antworten auf den Bereich Schule wirken beschämend, weil sie offensichtlich nur eine verzweifelte Zusammenstellung von Ein-Punkt-Projekten ist. Von Strategie – auch angesichts des vermehrten Engagements von Rechtsextremisten an Schulen – kann keine Rede sein. Auch dort gibt es eine Kultur der Nichtauseinandersetzung, wie uns einige Gruppen der Jugendbildung berichten.

Im September 2006 hat sich eine ganze Reihe von Organisationen, die im Kampf gegen den Rechtsextremismus eine bedeutende Rolle spielen, in einem offenen Brief an alle Fraktionen im Landtag gewandt. Sie weisen – zu Recht  – darauf hin, dass gerade dem zivilgesellschaftlichen Bereich eine Schlüsselrolle zukommt, wenn es darum geht, Rechtsextremismus auf lokaler Ebene nachhaltig entgegenzuwirken und dass es auch in Hessen zahlreiche zivilgesellschaftliche Akteure gibt, die Rechtsextremismus entgegen treten und kontinuierliche Impulse zu einer nachhaltigen Stärkung von Demokratie und Menschenrechten geben – durch bürgerschaftliches Engagement, Forschung, akademische und professionelle Projekte in Pädagogik, Beratung und Aufklärung.

Die Unterzeichnenden sehen dringenden Handlungsbedarf und schlagen ein Maßnahmenpaket zu vier Aktionsschwerpunkten vor:

<link http://www.rechtsextremismus-hessen.de/index.html1>1.   Förderung lokaler Initiativen und ehrenamtlicher Projekte</link>

<link http://www.rechtsextremismus-hessen.de/index.html2>2.  Förderung professioneller Projekte im Bereich Pädagogik, Beratung, Aufklärung</link>

<link http://www.rechtsextremismus-hessen.de/index.html3>3.  Ermöglichung intensiver Auseinandersetzung in Schulen</link>

<link http://www.rechtsextremismus-hessen.de/index.html4>4.   Förderung wissenschaftlicher Lokalstudien</link>

Die hessische SPD macht sich diese Vorschläge zu Eigen und hat einen entsprechenden Haushaltsantrag in Höhe von 250.000,– € eingebracht. Dieser Antrag wurde trotzdem abgelehnt. Unabhängig davon finden wir es sehr betrüblich, dass Sie von der CDU, und bedauerlicher Weise auch Sie von der FDP, bis heute noch nicht einmal auf die Initiative geantwortet haben. Die Auseinandersetzung mit dem Thema ist ganz offensichtlich nicht hoffähig. Sie scheuen die entschiedene Auseinandersetzung außerhalb sehr enger Grenzen, wie auch Ihre Antwort kenntlich macht.

Ich will nochmals auf das Thema Burschenschaften zurückkommen. Sie erinnern sich an den RCDS in Gießen und den Herrn Müller. Abgesehen davon, dass der Vorstand inzwischen vollständig zurückgetreten ist und Herr Müller vor Gericht in Mannheim angegeben hat, dass der RCDS sehr wohl seine Gesinnung kannte, möchte ich Sie nochmals auf die Anfälligkeiten der Unterwanderung dieser Organisationen von Rechtsextremisten hinweisen.

Der Dachverband Deutsche Burschenschaften, dem in Hessen 14 Burschenschaften angehören, hat sich ausdrücklich mit der Dresdensia-Rugia solidarisiert. Der RCDS Gießen hat bis gestern Abend noch eine Wohnungsanzeige für die Alemannia, eine der drei Giessener Verbindungen, eine Zimmervermietung angeboten. Eine Burschenschaft, die öffentlich über die alten Herren sich distanziert, aber weiterhin in der örtlichen Burschenschaft bei den Activas zusammengeschlossen ist.

Wir müssen diese Gefahr und Entwicklung sehr Ernst nehmen. Wir haben einen Unvereinbarkeitsbeschluss für diese Burschenschaften, Der RCDS hat jetzt auch einen Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber der Dresdensia Rugia! Spät, aber dennoch lobenswert. Wann folgt der Rest in diesem Hause, um diese Burschenschaft klar und unmissverständlich zu isolieren und zu ächten.

Joseph Wirth, der einer Partei angehörte, auf deren programmatische und organisatorische Tradition die CDU sich zu Recht beruft, blickte bei seiner Rede nicht nur im übertragenen, sondern auch im buchstäblichen Sinne nach Rechts, dahin, wo die Abgeordneten der DNVP und der anderen rechtskonservativen, deutschnationalen, nationalistischen und völkischen Parteien saßen. Da stand der Feind, den er meinte.

Niemand in diesem Haus darf zulassen, dass sich dies schleichend verändert und die Ränder Risse bekommen. Einen entscheidenden Beitrag haben wir geleistet, jetzt sind Sie an der Reihe!“