Lehrplanentwürfe sind das Papier nicht wert

Bei diesen Reformen müsse allerdings gewährleistet sein, dass die Durchlässigkeit zwischen den Schulformen gewahrt, dass fächerübergreifendes Arbeiten möglich und dass insbesondere das Umsteigen und Aufsteigen von Schülerinnen und Schülern hin zu weiterführenden Bildungsabschlüssen grundsätzlich möglich bleibe. Zunächst solle jedoch ein kompletter Durchlauf der Rahmenpläne durch alle Klassenstufen abgewartet und dann mit der erforderlichen Gründlichkeit gearbeitet werden, für die sich die hessische Landesregierung keine Zeit nehme.

"Aus ideologischen Gründen soll das dreigliedrige Schulsystem zementiert werden, mit all den negativen Folgen, die aus der Vergangenheit bekannt sind", kritisierten Quanz und Merkelbach. Die Chance, dass viele Schülerinnen und Schüler höhere Bildungsabschlüsse erreichen, werde massiv gemindert, da die Durchlässigkeit zwischen den Bildungsgängen stark beeinträchtigt werde. Bereits zu Beginn des fünften Schuljahres solle auf diese Weise über die künftige Schullaufbahn eines Kindes entschieden werden – spätere Übergänge, etwa von der Hauptschule in die Realschule oder von der Realschule in das Gymnasium und in die Sekundarstufe II, seien aufgrund der unterschiedlichen Bildungsinhalte und Bildungsziele in den einzelnen Bildungsgängen kaum mehr möglich. Darüber hinaus werde das schulzweigübergreifende Arbeiten in den Kooperativen Gesamtschulen praktisch unmöglich gemacht und letztlich auch dem pädagogischen Selbstverständnis der Integrierten Gesamtschule das Fundament entzogen.

Hessen senkt das Bildungsniveau", kritisierten Merkelbach und Quanz. Kultusministerin Wolff führe Hessen zurück in die Zeit der fünfziger und sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts. "Die Landesregierung vernichtet Bildungschancen, sie verbaut tausenden von Kindern die Zugänge zu höheren Abschlüssen. In einer Zeit, in der wir darauf angewiesen sind, dass auf allen Ebenen möglichst hochqualifizierte Bildungsabschlüsse erzielt werden und in der die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Schulformen die notwendige Antwort ist, macht die Koch-Regierung Kooperation und Integration zunichte," erklärte der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion Lothar Quanz.

Prof. Dr. Valentin Merkelbach führte aus wissenschaftlicher Sicht dazu aus, dass die Lehrpläne von unterschiedlicher Qualität seien und zum Teil zeitgemäßen pädagogischen Ansprüchen überhaupt nicht genügen. Er kritisierte massiv, dass weder eine fachwissenschaftliche noch eine fachdidaktische Begleitung stattgefunden habe, um die derzeitigen Kenntnisse und Erfahrungswerte der Wissenschaften entsprechend einzubringen. Offensichtlich habe man teilweise auf frühere Arbeitsgruppen zurück gegriffen, ohne dabei die Ergebnisse der aktuellen wissenschaftlichen Arbeiten mit einzubeziehen. Darüber hinaus sei für einzelne Fächer festgestellt worden, dass keine Abstimmung erfolgt sei mit Nachbarfächern, so dass u.a. fächerübergreifendes Arbeiten nicht mehr möglich sein werde. Zum Beispiel müssten zwischen Geschichte, Politischer Bildung und Erdkunde selbstverständlich zeitliche und inhaltliche Abstimmungen erfolgen. Dies sei aber mitnichten der Fall.

Besondere Kritik übte Prof. Merkelbach aus fachdidaktischer Sicht an den Lehrplanentwürfen für das Fach Deutsch. Die fachliche Inkompetenz sei an einzelnen Stellen gravierend. Sollten die Lehrpläne – so wie sie im Moment vorliegen – in die Tat umgesetzt werden, würde dies zu einem bildungspolitischen Rückschritt führen, der innerhalb der Bundesländer wohl einmalig sei und Hessens Schulen weit zurück werfen würde.

Heftige Kritik wurde auch am Lehrplanentwurf und an der weiteren Entwicklung des Faches Sozialkunde geübt. Dieses Fach verliere nicht nur seinen Namen und heiße in Zukunft "Politik und Wirtschaft", sondern die politische Bildung insgesamt werde im Lande Hessen nur noch ein Schattendasein führen. Die Stundenanteile in den einzelnen Schulformen würden zurückgenommen, die ökonomische Bildung ersetze einen Teil der politischen Bildung, durch den Wegfall des Faches Arbeitslehre fehle Zeit in den Gymnasien, um auf die Berufswelt kompetent vorzubereiten. All dies werde noch dadurch ergänzt, dass im Bereich der politischen Bildung wesentliche Inhalte überhaupt nicht mehr auftauchen. So spiele z.B. die Weiterentwicklung Europas genau so wenig eine Rolle wie die Themen Gewalt und Extremismus. Die kritischen Beispiele ließen sich an vielen Stellen und vielen Plänen noch beliebig verdeutlichen. Kernpunkt bleibe daher die Forderung, dass diese Lehrpläne umgehend zurückgezogen werden müssen.

Darüber hinaus kritisierten Merkelbach und Quanz, dass die Lehrpläne u.a. durch eine Stofffülle gekennzeichnet seien, die gerade im Widerspruch zum selbst gestellten Anspruch stünden, den Schulen auch den nötigen Freiraum für eigene schulische Curricula, für das Wiederholen des Stoffes und für das Einarbeiten von besonderer methodischer Arbeit zu lassen.

"Wir müssen gerade durch die Bildungsziele und -inhalte gewährleisten, dass Schülerinnen und Schüler optimal gefördert werden und möglichst höherqualifizierte schulische Abschlüsse erreichen können. Die moderne Arbeitswelt und die weitere gesellschaftliche Entwicklung bedingen, dass immer mehr Schülerinnen und Schüler mit immer mehr Qualifikationen ausgestattet sein müssen. Wenn sie ihre Lebenschancen entsprechend gestalten wollen und wenn die wirtschaftliche und politische Entwicklung im Sinne von Chancengleichheit die schulische Praxis entsprechend bestimmen soll", erklärten Merkelbach und Quanz abschließend.