Spätestens jetzt sei klar, dass der hemmungslose Wettbewerb und ein Subventionssystem, welches mehr auf Menge und nicht zuerst auf Qualität ausgerichtet war, zu von den Verbrauchern nicht mehr akzeptierten Produktionsbedingungen geführt hat. Nie sei die Chance so groß gewesen, die Verschwendung von Steuergeld zu beenden. Bökel erinnerte daran, dass Brüssel, Berlin und die Bundesländer den Agrarsektor inklusive teurer Lagerhaltung mit jährlich 27 Milliarden Mark subventionierten. "Es ist Verschwendung, wenn Milliarden ausgegeben werden, dabei aber nicht einmal dauerhaft die Existenz der meisten Betriebe gesichert ist und am Ende auch noch unsichere Nahrungsmittel herauskommen", so der SPD-Politiker.
Entscheidend sei die Frage, in welcher Richtung sich die Agrarpolitik neu orientieren müsse. Eine völlig freie Marktwirtschaft mit weltweit offenen Handelsgrenzen ohne jede staatliche Steuerung sei dabei die falsche Antwort. Denn dies würde bedeuten, dass die deutsche Landwirtschaft auf wenige wettbewerbsfähige Betriebe schrumpfe, die ihre Wettbewerbsfähigkeit nur durch eine sehr intensive, industrielle Produktion sichern könnten. Für Hessens Landwirtschaft würde dies das völlige "aus" bedeuten, die gesamte Kulturlandschaft in Hessen wäre in Gefahr.
Also bleibe nur der Weg hin zu einer ökologisch ausgerichteten Agrarreform. Dabei sei die umwelt- und artgerechte Erzeugung von Fleisch, Gemüse und Getreide weder eine Frage der Betriebsgröße noch des Einsatzes von Technik, sagte Bökel. Er unterstützte die Absicht der Bundesregierung die Zahl der Öko-Betriebe auf 10 oder gar 20 % anzuheben. Wenn von den bisher mehr als 500 000 deutschen Landwirten gerade einmal 10 000 nach strengen Ökorichtlinien produzierten, habe dies allerdings einen einfachen Grund: Der Ökolandbau ist teurer als die konventionelle Landwirtschaft. "Hier muss die Politik Rahmenbedingungen setzen, zum Beispiel durch Förderung von neuen Vermarktungsstrategien und wissenschaftliche Begleitung, die eine umweltgerechte und wettbewerbsfähige deutsche Landwirtschaft begünstigen", sagte Bökel.
Der SPD-Abgeordnete unterstrich, dass die entscheidende Bewährungsprobe der neuen Agrarpolitik darin bestehe, ob sie alle Betriebe zu verbrauchergerechtem und umweltfreundlichem Wirtschaften veranlassen kann. "Kernpunkt muss auch hier sein, dass sämtliche Subventionen an Qualitätsauflagen gebunden werden", so Bökel. Dabei könne es nicht darum gehen kleine Betriebe gegenüber Größeren zu bevorzugen. Ziel müssten betriebswirtschaftlich rentable Betriebsgrößen sein, die sich mittelfristig auch ohne Subventionen am Markt behaupten können und eine artgerechte Tierhaltung auf eigener Futtergrundlage gewährleisten. Es sei ordnungspolitisch falsch zu glauben, dass die Produktion von Nahrungsmitteln auf Dauer von einem Subventionsdschungel abhängig bleiben kann.
"Die Neuorientierung der Agrarpolitik muss eingebettet werden in eine nach vorn gerichtete Politik für den ländlichen Raum. So könnten neben der Honorierung von Dienstleistungen im Bereich der Landschaftspflege künftig weitere Erwerbsmöglichkeiten für Landwirte im Dienstleistungsbereich hinzukommen", führte Bökel aus. Der sanfte Tourismus oder auch die Energieerzeugung aus Biogas und Biomasse müssten zu zukunftsfähigen Betriebszweigen für Bauern ausgebaut werden. Die Entwicklung der ländlichen Räume im Rahmen eines Agenda-Prozesses, wie wir es beispielsweise im Biosphärenreservat in der Rhön vorgemacht haben, biete für die ländlichen Räume völlig neue Perspektiven.
Für Bökel spielen die Verbraucher die entscheidende Rolle auf dem Weg zu einer neuen Landwirtschaft. "Uns muss klar sein, dass wir unter Verbrauchern nicht nur die Besserverdienenden meinen, die sich den Luxus teurer Lebensmittel leisten können. Die Politik muss sicherstellen, dass die Verbraucher in den Stand versetzt werden, Kaufentscheidungen vor dem Hintergrund seriöser Informationen über die Produkte zu treffen" erklärte Bökel. Die Verbraucher müssten sich darauf verlassen können, dass – etwa wie beim Gütesiegel "Gutes aus Hessen" – die Anforderung an eine umwelt- und naturverträgliche Produktionsweise, an eine artgerechte und vor allem flächengebundene Tierhaltung, die klare Kennzeichnung von Futtermitteln und ein lückenloser Herkunftsnachweis von Stall oder Acker bis zur Ladentheke eingehalten werden. Bei den Qualitätskriterien bedürfe es eines Umdenkens der Funktionäre des Bauernverbandes und auch des Hessischen Landwirtschaftsministers. "Wir fordern Minister Dietzel auf, keine Bauernverbandspolitik mehr zu machen, sondern eine Politik für alle Bauern, für alle Verbraucher und für den ländlichen Raum," sagte Bökel. Dabei seien brachliegende Marktpotentiale zu erschließen. Derzeit kommen nur 30 bis 60 % der in Hessen verzehrten Lebensmittel aus hessischen Ställen und von hessischen Feldern.
"Die erforderliche Umsteuerungsaufgabe ist nicht einfach", unterstrich Bökel. Da aber im Bereich der Agrarpolitik eine große staatliche Regelungsdichte selbstverständlich und akzeptiert sei und große Finanzressourcen zur Umschichtung zur Verfügung stünden, könne auch eine bessere Politik tatsächlich durchgesetzt werden. Dafür müsse Deutschland auch in der Europäischen Union ernsthaft auf Gegenkurs zur bisherigen Politik gehen. "Die neue Landwirtschafts- und Verbraucherschutzpolitik muss in eine neue Politik für den ländlichen Raum einmünden", sagte Bökel.