"Wir haben es beim Umgang der Landesregierung mit dem Wahlprüfungsgericht um einen Skandal erster Ordnung zu tun, um die Offenbarung, wie verkommen das Rechtsstaatsverständnis dieser Landesregierung mittlerweile ist. Ein schwerer Vorwurf – aber er ist belegbar:
Seit März fordert das Wahlprüfungsgericht Akten und Unterlagen an. Es bittet, fordert, fordert auf, mahnt. Es passiert nichts. Bis heute hat das Wahlprüfungsgericht noch nicht ein Blatt, noch nicht ein Blatt der angeforderten Akten erhalten. Das Wahlprüfungsgericht wird in die Rolle des Bittstellers gerückt. Unter dem Druck der heutigen Debatte ist dem Berichterstatter laut Presseberichten immerhin das Recht eingeräumt worden, in die Akten zu schauen – das reicht aber nach dieser Vorgeschichte nicht mehr.
Wo sind wir eigentlich? Die Exekutive entscheidet, welche Unterlagen einem Verfassungsorgan zukommen. Das Wahlprüfungsgericht hat einen Anspruch aus der Verfassung auf die notwendigen Unterlagen als überprüfende Instanz und die Exekutive, der Justizminister, gibt die Akten nicht hinaus. Das ist Bruch des Rechtsstaates!
Ein Verfassungsorgan soll kaltgestellt werden. Es ist kalte Berechnung, wie das Wahlprüfungsgericht auszubremsen ist, wie es an der Arbeit gehindert werden kann. Dies passt in die unerträglich Kampagne der Regierungsfraktionen gegen die Richter.
So wie Sie mit Verfassungsnormen umgehen, stellt sich die Frage, wieso soll der Normalbürger überhaupt noch Urteile oder Verwaltungsentscheide akzeptieren? Sie leben ihm doch vor, wie Entscheidungen missachtet und Entscheider unter Druck gesetzt werden.
In der Hessischen Verfassung – durch Volksabstimmung angenommen – haben wir uns auf Werte verständigt. Wo bleibt Ihre Anerkennung der Werte der Verfassung?
Seit Monaten werden die Akten – auch die unstrittigen Akten – trotz Ankündigung nicht übersandt. Seit einem Monat hat die CDU die Akten gegenüber dem Wahlprüfungsgericht freigegeben, die sie auch gegenüber dem Untersuchungsausschuss freigegeben hat. Was liegt dem Wahlprüfungsgericht vor? Nichts! Seit Monaten wartet es wenigstens auf die Unterlagen die der Untersuchungsausschuss hat. Was liegt vor? Nichts!
Selbst wenn man wie Sie der Auffassung wäre, Art.78 HVF sei mit dem GG nicht vereinbar – der Staatsgerichtshof hat sich damit eindeutig befasst und das Gegenteil festgestellt – ist es solange rechtens bis das Bundesverfassungsgericht etwas anders festgestellt hat.
Wo kommen wir hin, wenn eine Regierung sagt, das Gesetz – hier sogar die Verfassung – ist falsch und wir halten uns nicht mehr daran. Auch das ist der Bruch mit dem grundlegenden Verständnis unserer Verfassungsordnung.
Von Kanther zu Koch hat sich nichts geändert: Der Kampfverband CDU steht über allem. Über Recht, ja sogar über der Verfassung! Das ist eine prächtige Leitkultur, welche die CDU hier vorlebt.
In der Klage der Landesregierung vom 30.5. zum Wahlprüfungsgericht stellt sie ein schönes Bild: "In seiner uferlosen Weite ist dieser Ungültigkeitsgrund (Sittenwidrigkeit)…mit dem Grundgesetz nicht vereinbar". Das ist ein schönes, treffendes Bild – aber in anderer Hinsicht als gedacht. Ja, die CDU steckt tief im Sumpf, viel Schlamm und Schmutz umgibt sie, der Boden ist tief, bis zum Hals steckt sie drinnen und das rettende Ufer ist sooooo weit. "Uferlose Weite" fällt der CDU bei Sittenwidrigkeit ein.
Wie wäre es denn, wenn die CDU einmal die Rechtsprechung des BGH, und in die Standardkommentare schaut: Dort heißt es, Sittenwidrigkeit ist das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden. Dazu fällt den Leit-Kulturellen nichts mehr ein.
Uferlose Weite. Uferlos skandalös, uferlos machtversessen ist die Haltung der Landesregierung. In Wiesbaden riefen Hunderte von Schülerinnen und Schülern dem Ministerpräsidenten nach: "Lügen-Koch, wie lange noch?" Wie lange noch, Herr Koch, fragen auch wir uns."