"Mit dem Psychotherapeutengesetz hat der Bundesgesetzgeber 1998 – und man muss sagen, endlich – die Berufe des psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten als eigenständige Heilberufe geschaffen. Das war bitter nötig, wenn an bedenkt, dass realistische Schätzungen für die Hälfte aller hausärztlichen Patienten zumindest eine wesentliche psychische Komponente des Beschwerdebildes postulieren. In Verbindung mit der Schaffung des Facharztes für Psychotherapie konnte so in den letzten Jahren eine eklatante Versorgungslücke insbesondere in den ländlichen Regionen zumindest deutlich verengt werden.
Psychotherapiebedürftige Patienten haben es besonders schwer:
· Erstens sind psychische Erkrankungen noch immer hoch tabuisiert: ein Beinbruch wird gerne eingestanden, eine Neurose äußerst selten.
· Zweitens sehen psychotherapiebedürftige Patienten sich leicht dem Vorwurf ausgesetzt, sie seien gar nicht krank, sondern nur nicht in der Lage, vermeintlich Lebensprobleme zu meistern.
· Drittens fanden diejenigen, die es geschafft haben, die Notwendigkeit einer Psychotherapie vor sich selbst einzusehen und vor sich selbst zu ertragen, auf dem flachen Land lange Zeit kaum einen Therapeuten, während andernorts das Angebot so vielfältig und übersichtlich sein kann, dass die Auswahl eines geeigneten und qualifizierten Helfers Schwierigkeiten machte, von zweifelhaften Methoden gar nicht zu sprechen.
Gerade der letzte Punkt macht den Sinn einer Verkammerung deutlich: Die Fachkundigen sollen selbst die Regelungen für Qualität und Qualifizierung treffen und überwachen. Wie es die bestehenden Heilberufskammern vorführen, soll damit sichergestellt werden, dass die hilfesuchenden Patienten unzweifelhaft auf Qualität und Sachkunde vertrauen können. Die SPD – Fraktion begrüßt das ausdrücklich.
Dass es eine zusätzliche Kammer geben soll, statt die psychologischen Psychotherapeuten in die Ärztekammer zu integrieren, ist aus den tradierteten Abgrenzungsbedürfnissen verständlich und – da es nahezu einhelliger Wunsch der Beteiligten ist – auch unvermeidlich. Richtiger wird es dadurch nicht: Strukturen gestalten das Denken, und die Trennung in verschiedene Kammern verfestigt das Denken im Decartes´schen Leib-Seele Dualismus, den ja selbst Decartes nicht so gemeint hat, wie er in der modernen Medizin praktiziert wird. Alle reden von Ganzheitlichkeit, sie wird sich in den Strukturen niederschlagen müssen.
Da stellt auch der im Entwurf vorgesehene, paritätische Beirat aus psychologischen und ärztlichen Psychotherapeuten – nicht der Ärzte insgesamt – nur einen Behelf dar. Medizin der Zukunft bedeutet die integrative Behandlung von Körper und Seele durch jeden Heilkundigen, allenfalls mit graduellen Unterschieden.
Wie gesagt, Frau Ministerin, die von Ihnen vorgeschlagene Lösung getrennter Kammern scheint unvermeidlich. Es wird Ihre Aufgabe sein, mit kreativer Gesundheitspolitik dazu beizutragen, dass diese Scheingrenze überwunden wird und eines Tages beide Kammern eine Vereinigung für die richtige Lösung erachten.
Hier, meine Damen und Herren, hier zeigt sich das Problem dieses Entwurfs und der vorlegenden Ministerin: Zwar werden inzwischen die Hausaufgaben auch mal selbstständig erledigt, wird uns ein Gesetzentwurf der Regierung vorgelegt, ohne dass erst die Opposition die Regierung zum jagen tragen muss, und wir begrüßen das ausdrücklich.
Aber das war es dann auch: keine Vision, keine Kreativität, kein Denken über den Tag hinaus. Die Sozialpolitik dieser Regierung ist apolitisch, aufs Verwaltungshandeln reduziert:
Denn wenn richtiger Weise eine neue Kammer geschaffen wird, warum denkt eigentlich keiner an die nichtakademischen Heilberufe: Krankenpflege wird inzwischen an Hochschulen gelehrt, Frau Ministerin, und Physiotherapie ebenfalls. Eine Verkammerung auch der Pflegeberufe würde in gleicher Weise die Professionalisierung und Weiterqualifikation befördern. Sie würde die Leistungsfähigkeit und Qualifikation dieser Berufe anerkennen. Sie wäre ein Weg, überholte, in dieser Weise nur bei uns praktizierte Abgrenzungen zwischen Heilberufen zu überwinden."