"Dem seit Monaten aufgeführten Schmierenstück "Spenden- und Schwarzgeld-Skandal Hessen" wird mit dem heutigen Tag ein weiterer Akt hinzugefügt. Der Darsteller, der in diesem Stück jetzt die Schurkenrolle übernommen hat, wurde in der letzten Woche ausgewechselt. Der Hauptdarsteller, Sie Herr Ministerpräsident, versucht, weiter mit windigen Tricks politisch zu überleben.
Die heutige Sondersitzung des Hessischen Landtags ist so überflüssig wie ein Kropf. Der wahre Grund, warum Sie dies heute inszenieren, ist der erneute Versuch, von dem Skandal abzulenken, die Öffentlichkeit zu täuschen und in die Irre zu führen. In der nächsten Woche haben wir eine turnusmäßige Plenarsitzung. Sie hätten, Herr Ministerpräsident, in dieser Sitzung die Gelegenheit gehabt, Ihr Kabinett in der neuen Zusammensetzung vorzustellen und um das Vertrauen zu bitten.
Was eine solche Vertrauenserklärung wert ist, haben CDU und FDP bereits 1990 erfahren. Nach dem Rücktritt von Innenminister Milde wegen des Abhörskandals hat sich Ministerpräsident Wallmann am 20. November 1990 nach Berufung von Innenminister Nassauer in namentlicher Abstimmung durch 56 Abgeordnete von CDU und FDP bestätigen lassen. Acht Wochen später hat Schwarz-Gelb dafür die Quittung der Wählerinnen und Wähler erhalten.
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In der über 50-jährigen Geschichte des Landes Hessen ist es ein einmaliger Vorgang, dass sich das Wahlprüfungsgericht mit der Frage zu beschäftigen hat, ob ein Wahlkampf sittenwidrig war. Seit das Wahlprüfungsgericht tätig ist, versuchen Sie, Herr Ministerpräsident, mit allen Mitteln die Arbeit des Gerichts zu torpedieren. Herr Ministerpräsident, Sie regieren nicht nur unter dem Damoklesschwert weiterer Enthüllungen, sondern auch unter dem Damoklesschwert des Wahlprüfungsgerichts.
Bis zum heutigen Tag, obwohl Sie sich, Herr Ministerpräsident, zum selbst ernannten Aufklärer erkoren haben, stellen Sie dem Wahlprüfungsgericht keine Akten zur Verfügung. Mit windigen juristischen Winkelzügen versuchen Sie, durch den Gang nach Karlsruhe das Wahlprüfungsgericht insgesamt in Frage zu stellen. Insgesamt ein rechtsstaatlich bedenklicher Vorgang.
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Nachdem der CDU-Parteispendenskandal, den der Bundeskanzler a.D. und ehemalige CDU-Bundesvorsitzende Helmut Kohl zu verantworten hat, in den Mittelpunkt des politischen Geschehens trat, wurde sehr schnell bekannt, dass neben den Bonner Machenschaften die hessische CDU tief im Spenden- und Schmiergeldsumpf sitzt.
Nachdem Sie, Herr Ministerpräsident, erkannten, dass die Aufklärung nicht zu verhindern ist, haben Sie sich zum Chefstrategen der Aufklärung ernannt. In Ihrer brutalstmöglichen Art, wie Sie es selbst nannten, wollten Sie ein Bild vermitteln, dass lediglich drei Personen, der frühere Landesschatzmeister der CDU und Kreisschatzmeister der CDU in Frankfurt, Prinz zu Sayn-Wittgenstein, der CDU-Finanzmanager, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, Horst Weyrauch, und Ihr Vorgänger im Amt als Landesvorsitzender, Staatsminister und Bundesminister a.D. Manfred Kanther, den Skandal allein zu verantworten hätten.
Sie bauten ein Lügengebäude auf, wonach Sie selbst und Ihr politisch Vertrauter und Freund, Dr. Franz-Josef Jung, und andere Verantwortliche in der CDU mit dem ganzen Vorgang nichts zu tun hätten. Nach Ihrer Version waren Sie weder Mittäter noch Täter, sondern lediglich Opfer.
Ich habe Ihnen von Anfang an gesagt, dass es jeglicher Lebenserfahrung widerspricht, dass in einem solchen Skandal, der sich über zwei Jahrzehnte erstreckt, Millionen Summen hin und hergeschoben werden können und der Kreis der Mitwisser sich auf lediglich drei Personen erstreckt. In der Zwischenzeit wissen wir, dass es bei dem illegalen Finanzgebaren der CDU um ein engmaschiges Netz von in den Skandal Eingeweihten geht.
Ihr jetzt entlassener Staatsminister und früherer Generalsekretär und Fraktionsgeschäftsführer, Dr. Franz-Josef Jung, gehörte genauso wie Sie, Herr Ministerpräsident, als Landesvorsitzender und früherer Fraktionsvorsitzender und stellvertretender Fraktionsvorsitzender Ihrer Partei bzw. Ihrer Fraktion dazu.
Mehrfach mussten Sie in den letzten Monaten eingestehen, dass Sie nicht die volle Wahrheit sagten, dass Sie versucht haben, die Öffentlichkeit und die Presse bewusst in die Irre zu führen. Es ist eine Schande für unser Land, dass man Sie als Ministerpräsident in der Öffentlichkeit ungestraft als Lügner bezeichnen kann und Sie sich, weil Sie so tief in den Spendensumpf versunken sind, auch nicht wehren können.
Die von Ihnen als Chefaufklärer betriebene Taktik wird jetzt von Ihrer Generalsekretärin, Frau Geschka, fortgesetzt. Der erneute Versuch, durch Aktenauszüge der Presse einige Brocken hinzuwerfen mit dem strategischen Ansatz, die Medien hätten ja alles gewusst, weil es die CDU offenbart habe, wird erneut scheitern. Die in der vergangenen Woche in einer Pressekonferenz vorgelegten Dokumente werfen mehr Fragen auf als Antworten gegeben wurden.
Den Finanz- und Spendenskandal versuchen in der Zwischenzeit auf Bundes- und Landesebene zwei Untersuchungsausschüsse aufzuklären. Sie, Herr Ministerpräsident, in Ihrer Eigenschaft als Landesvorsitzender der CDU torpedieren die Arbeit der Ausschüsse in der Weise, dass Sie den Ausschüssen wie dem Wahlprüfungsgericht bisher keinerlei Akten zur Verfügung gestellt haben, obwohl entsprechende Beschlüsse der Untersuchungsausschüsse vorliegen.
Herr Ministerpräsident, besonders unwürdig für einen demokratischen Politiker ist Ihre Medienschelte und die Ihrer Generalsekretärin. Sie haben Redakteure und Herausgeber als "Mafia" beschimpft.
Herr Koch, die Berichterstattung über den Schwarzgeld-Skandal haben Sie selbst zu verantworten. Sie sind nicht Opfer der Medien, sondern bestenfalls Opfer Ihrer eigenen Strategie. Wir hatten Sie bereits im Februar aufgefordert, der Öffentlichkeit nicht nur ausgewählte Informationen zugänglich zu machen, sondern beispielsweise die gesamten Anlagen zum sogenannten Weyrauch-Bericht.
Sie haben nur Teilinformationen zugänglich gemacht, die noch viele Widersprüche, Ungereimtheiten und offene Fragen enthielten. Klagen Sie also nicht darüber, wenn die Presse heute diese Widersprüche, Ungereimtheiten und offenen Fragen durchleuchtet.
Herr Koch, Sie wollten die Aufklärung in die Länge ziehen. Sie hatten die Hoffnung, dass Gras über den Schwarzgeld-Skandal wächst. Sie haben sich getäuscht. Sie haben die freie Presse unseres Landes und die Opposition unterschätzt. Sie haben sich selbst ein Bein gestellt.
"Die Rache der Journalisten an den Politikern ist das Archiv" – so der österreichische Journalist Robert Hochner. Da lauert für Roland Koch eine ständige Gefahr, denn die Medien haben ein gutes Gedächtnis. Ein besseres als der Ministerpräsident selbst, für den ein Zitat von Abraham Lincoln gilt: "Keines Menschen Gedächtnis ist so gut, dass er ständig erfolgreich lügen könnte."
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Die Rolle der FDP ist seit Beginn der Vorwürfe gegen Koch, Jung & Co. eine mehr als Schillernde. Frau Wagner schwankt zwischen Verlust der Ämter und Verlust der Glaubwürdigkeit hin und her. Der Druck der Bundes-FDP ist nach wie vor sehr groß.
Gerade die jüngsten Äußerungen führender Bonner FDP-Repräsentanten machen dies deutlich.
Sie, Herr Ministerpräsident, haben auf einer Veranstaltung in Dreieich erklärt, der Rücktritt Jungs sei ungerecht. Ja was nun? Lediglich auf Druck der FDP zustande gekommen, aber Jung geschieht Unrecht?
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Die Koalition verkündet heute den Neuanfang. Herr Koch, dass Sie innerhalb von nur eineinhalb Jahren zum dritten Neuanfang schreiten müssen, zeigt die verzweifelte Situation in der Sie sich befinden. Neuanfang – das erste ehrliche Wort seit Wochen. Denn wer einen Neuanfang sucht, muss am Ende sein. Und diese Regierung ist am Ende. Es wird Ihr letzter Neuanfang sein, die nächste Erfahrung, die Sie machen werden, ist ihr unrühmlicher Abgang.
Eine Neuwahl – das wäre die Vertrauensfrage für Roland Koch. Solange Sie meinen, noch 56 Abgeordnete hinter sich versammeln zu können, ist Ihnen die Meinung der Menschen in unserem Land egal. Und Herr Koch, selbst bei diesen 56 Abgeordneten geht es doch nicht mehr um Vertrauen. Es geht um reinen Machterhalt, es geht um die Angst vor Mandatsverlust bei Neuwahlen.
Herr Ministerpräsident Koch, in Ihrem Amtseid haben Sie geschworen, Schaden vom Land Hessen abzuwenden. Wenn Sie Ihren geleisteten Amtseid Ernst nehmen, müssen Sie zurücktreten und den Weg für Neuwahlen frei machen, denn Sie haben längst die Legitimation verloren."