Die Behauptung des Ministerpräsidenten, Medien und Bundesregierung dramatisierten den Rechtsextremismus, sei eine Verhöhnung der Opfer von Gewalt. "Vollends grotesk wird Kochs Argumentation, wenn er die Berichterstattung über den Rechtsextremismus für ein schlechtes Bild der Bundesrepublik im Ausland verantwortlich macht und nicht die schweren Straftaten und die öffentlichen Aufmärsche der Neonazis."
"Richtig ist, dass Deutschland kein radikales Land ist. Darauf sind wir stolz. Doch darf diese Tatsache nicht den Blick dafür verschließen, dass es eine rechtsextremistische Szene gibt, die gewaltbereit ist und für die das friedliche Zusammenleben in unserem demokratischen Rechtsstaat nichts zählt. Morde, Brandstiftungen und Körperverletzungen gehen ebenso auf ihr Konto wie Ausländerhatz und Volksverhetzung. Und auch wenn Hessen von schweren Straftaten weitgehend verschont geblieben ist, so gibt es hier gleichwohl potentielle Gewalttäter und ein Sympathisantenumfeld, das ein konsequentes Vorgehen notwendig macht", so Bökel. Angesichts der Tatsache, dass Innenminister Bouffier in seiner eineinhalbjährigen Amtszeit noch keine neuen Zahlen zur Entwicklung des politischen Extremismus in Hessen vorgelegt habe, sei ein aktueller Lagebericht dringend erforderlich.
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende hielt dem Ministerpräsidenten vor, mit seinen Äußerungen den rechtspopulistischen Kurs seiner Staatsbürgerschaftskampagne fortzusetzen. "Herr Koch hat wegen des persönlichen Nutzens, den er von dieser Kampagne hatte, den Schaden, den er angerichtet hat, in Kauf genommen. Und seine heutigen Äußerungen sollen offensichtlich den Boden dafür bereiten, dass er den Kommunalwahlkampf wieder auf dem Rücken unserer ausländischen Mitbürger führen will."
Bökel rief die Landesregierung auf, mit ihrer für die kommende Woche angekündigten Regierungserklärung einen dramatischen Kurswechsel zu vollziehen und endlich klare Distanz zum rechten Rand der Gesellschaft zu schaffen. "Wir verlangen, dass die Regierung, wie beispielsweise in Nordrhein-Westfalen, ein Konzept zur Bekämpfung des Rechtsextremismus vorlegt. Diese Regierung muss erklären, warum sie dem Thema Kampfhunde mehr Aufmerksamkeit widmet als Angriffen der Extremisten auf unsere Gesellschaft."
Bislang habe das Kabinett Koch dazu keinerlei erkennbare Anstrengungen unternommen, sondern im Gegenteil immer wieder in Kauf genommen, ausländerfeindliche Ressentiments zu bedienen und dem rechten Rand das politische Überleben eher zu erleichtern – zum Beispiel durch Abschaffung der Prozenthürde bei Kommunalwahlen – als zu erschweren.
Die SPD erwarte von der Landesregierung konkrete Maßnahmen im präventiven wie im repressiven Bereich. "Durch ein Aussteigerprogramm muss die Bereitschaft gefördert werden, die rechtsextreme Szene zu verlassen. Die Bildungspolitik muss in allen Bereichen, von der Schule über die Erwachsenenbildung, die Universitäten bis zur Landeszentrale für politische Bildung neue Wege finden, um die Grundsätze unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung zu vermitteln. Die unter Schwarz-Gelb "eingeschlafenen" Aktionen des Landesamtes für Verfassungsschutz unter der Überschrift Verfassungsschutz durch Aufklärung müssen wiederbelebt werden", forderte Bökel.
Im repressiven Bereich seien seit 1993 beachtliche Fortschritte erzielt worden, wie die Verhinderung von Gedenkveranstaltungen zum Todestag von Rudolf Hess durch die hessische Polizei in den vergangenen Tagen gezeigt habe. "Doch es reicht nicht, sich darauf auszuruhen. Wir sehen vor allem Defizite bei der Bekämpfung der rechtsextremen Präsentationen im Internet. Außerdem halten wir den Informationsaustausch zwischen Staatsschutzbehörden und den für Jugendkriminalität zuständigen Polizeieinheiten für verbesserungswürdig. Daneben steht als Daueraufgabe die ständige Beobachtung der Szene, die direkte Ansprache von potentiellen Rädelsführern und die Hilfestellung von Verfassungsschutz und Polizei für die Versammlungsbehörden, um gerichtsfeste Verbotsverfügungen von Versammlungen zu erreichen."
Von besonderer Bedeutung sei, die Verbreitung rechtsextremer Musik zu erschweren. Dazu habe die SPD-Fraktion für die kommende Plenarwoche bereits einen Gesetzentwurf vorgelegt, damit solche volksverhetzenden CDs nicht mehr unter die extrem kurze presserechtliche Verjährungsfrist von einem halben Jahr fallen.