Gravierende Veränderungen in unserer Gesellschaft und in der Lebenswirklichkeit finden im allgemeinen Eingang in die Fortentwicklung der Rechtsprechung. Dies ist aus der Sicht der SPD-Fraktion bei dem vorliegendem Urteil leider nicht der Fall.
In den letzten 30 Jahren hat sich allerdings in der Arbeitswelt und in unserer Gesellschaft soviel verändert, dass wir es als SPD-Fraktionen für falsch halten, das in der Wilhelminischen Zeit ausgeformte Beamtenrecht mit seinen teilweise nicht mehr der Lebenswirklichkeit entsprechenden hergebrachten Grundsätzen unverändert in das neue Jahrhundert hinüber retten zu wollen.
All die Veränderungen der Lebenswirklichkeit in den zurückliegenden Jahrzehnten und die dringenden Zukunftserfordernisse können nicht spurlos an einer Insel "Berufsbeamtentum und Öffentlicher Dienst" vorbeigehen. Wir waren uns vor einigen Monaten in der Diskussion "Flexibilisierung der Arbeitszeit für den Öffentlichen Dienst" hier im Haus weitgehend einig. Flexibilität für den Öffentlichen Dienst muss aber in dem von mir erläuterten Sinne über Flexibilisierung der Arbeitszeit allein weit hinaus gehen.
Junge Menschen sind nach Ausbildung, Fachhochschulstudium oder Universitätsstudium schon lange in vielen Berufsfeldern der privaten Wirtschaft nicht mehr in der komfortablen Lage, sofort einen sicheren Vollzeiteinstieg in das Berufsleben zu haben, schon gar nicht mit einer vergleichbaren Nettovergütung eines Beamten in A 12 oder A 13. Junge Menschen sind auch nicht mehr in der Situation, den gleichen Beruf lebenslang, vielleicht gar noch in der gleichen Firma ausüben zu können.
In einer Zeit in der sich die Lebensentwürfe und Ziele junger Menschen gegenüber früher stark verändert haben, in einer Zeit hoher Arbeitslosigkeit, allgemein und besonders junger Menschen nach Ausbildung und Studium, in einer Zeit, in der es nicht mehr die Regel, sondern allenfalls die Ausnahme ist, dass ein Verdiener die Familie ernährt, sondern beide in einer Lebensgemeinschaft – ob nun mit oder ohne Trauschein – berufstätig sind, in einer solchen Zeit mit völlig veränderten Rahmenbedingungen hat sich 1997 die damalige Regierungskoalition von SPD und Grünen im Sinne der Solidarität zwischen denen, die drinnen sind im Arbeitsprozess bzw. denen die mit Vollzeit hineinkommen und denen, die draußen stehen, für die Reduzierung der Arbeitszeit und Bezahlung auf zunächst 80 % und dann auf 90 % ab Besoldungsgruppe A 12 aufwärts entschieden.
Dies aus sozialer Verantwortung und zwar ausschließlich für die Bereiche, in denen es einen Bewerberüberhang gab. Mit dem nur begrenzt zur Verfügung stehenden Geld mehr jungen Menschen eine Chance für den Berufseinstieg zu geben war in der damals besonders schwierigen Zeit unser Ziel, was wir in Anbetracht der Rahmenbedingungen in 1997 nach wie vor für der Situation angemessen halten.
Deshalb hält die SPD-Fraktion die 1997 unter den damaligen Rahmenbedingungen getroffene Entscheidung nach wie vor für richtig. Natürlich ist das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu respektieren. Dennoch füge ich hinzu: Wir vermissen in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts eine den Lebensverhältnissen und der Entwicklung unserer Gesellschaft angemessene Fortentwicklung der Rechtsprechung.
Die sogenannten hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums sind bereits ein gutes Stück weit ausgehöhlt und diese Entwicklung wird sich weiter fortsetzen, vermutlich schneller als wir annehmen. Das gesamte Dienstrecht zu überarbeiten und auch zu überlegen, ob es nicht sinnvoller ist, das Berufsbeamtentum auf die Kernbereiche zu konzentrieren, ist deshalb dringender denn je.
Wenn es nicht zu der von Sozialdemokraten seit den 70iger Jahren für richtig gehaltenen Gesamtreform des öffentlichen Dienstrechts zu einem einheitlichen Dienstrecht gekommen ist, müssen Reformschritte durch Einzelregelungen möglich sein.
Deswegen ist es nur schwer hinnehmbar, wenn nun ein Einzelschritt zur Modernisierung des Dienstrechts allein durch eine Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts "kassiert" wird. Insoweit ist diese Entscheidung nicht überzeugend und keinesfalls weiterführend. Sie ist allenfalls Anlaß für eine grundsätzliche Entrümpelung und Modernisierung des öffentlichen Dienstrechts.